Hereditäre Schmerzerkrankungen

Hereditäre Schmerzerkrankungen umfassen eine Vielzahl genetisch bedingter Störungen, die sowohl zu einer gesteigerten Schmerzempfindung als auch zu einem reduzierten oder fehlenden Schmerzempfinden führen können. Diese Erkrankungen sind selten und können durch einen Entwicklungsdefekt, durch Degeneration schmerzleitender Fasern oder durch eine veränderte neuronale Erregbarkeit verursacht werden.

Zu wenig Schmerz – HSAN und angeborene Schmerzlosigkeit

Eine Degeneration von sensorischen Nervenzellen findet sich insbesondere in der Gruppe der hereditären sensorisch-autonomen Neuropathien (HSAN), die dazu führt, dass Schmerzen nicht oder vermindert wahrgenommen werden.  Betroffene neigen zu schweren Verletzungen aufgrund der verminderten Schutzfunktion des Schmerzes, wobei die Erkrankung meist fortschreitend verläuft. Klinisch noch schwerer ausgeprägt zeigt sich die angeborene Schmerzunempfindlichkeit (Congenital Insensitivity to Pain – CIP), die im Extremfall eine komplette Schmerzlosigkeit für Betroffene bedeutet. Die Ursache liegt hierbei oft in einer veränderten Erregbarkeit schmerz-leitender Fasern aufgrund von pathogenen Veränderungen u.a. in spannungsgesteuerten Natriumkanälen.

Mittels Exom- und Genom-Sequenzierungen untersuchen wir Proben von Betroffenen, um die genetische Ursache der Erkrankung zu finden. Mittels dieser Methoden können auch bislang unbekannte zugrundeliegende genetische Veränderungen detektiert werden. Funktionelle Analysen zur Entschlüsselung der involvierten zellulären Pathomechanismen werden u. a. an humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) und transgenen Maus-Modellen durchgeführt. Hier nutzen wir auch verstärkt neue Einzelzell-Sequenzierungs-Technologien um krankheitsverursachende Mechanismen auf Ebene besonders betroffener Zelltypen besser verstehen zu können.

Aufgrund der Seltenheit von HSAN/CIP ist ein Austausch innerhalb und zwischen Forschungsgruppen, Behandelnden und Betroffenen von großer Bedeutung. Wir sind Gründungsmitglied des European Network on Inherited Sensory Neuropathies and Insensitivity to Pain (ENISNIP), ein europäischer Verbund aus klinischen Zentren und Grundlagenforschungszentren mit Schwerpunkt auf HSAN/CIP. Neben dem wissenschaftlichen Austausch wird im Rahmen von ENISNIP ein Register erstellt, um klinische, bildgebende und genetische Daten von Betroffenen systematisch und Standort-übergreifend zu erfassen und vergleichen zu können. Weitere Informationen sowie die Möglichkeit der Kontaktaufnahme finden Sie auf der Seite von ENISNIP).

Zu viel Schmerz – Episodische Schmerzsyndrome und Small Fiber Neuropathie

Insbesondere die spannungsabhängigen Natriumkanäle können neben der Schmerzlosigkeit je nach genetischer Veränderung ebenso zu einem genau gegenteiligen klinischen Bild führen: Betroffene weisen starke, zum Teil episodische Schmerzen auf, die auch durch Analgetika (= schmerzstillende Medikamente) häufig nicht mehr gestillt werden können. Kommt es zum Absterben kleiner sensibler Nervenfasern, spricht man auch von einer Small Fiber Neuropathie (SFN). Eine SFN wird neuropathologisch durch die Analyse der Nervenfaserdichte in einer Hautbiopsie nachgewiesen.

Auch in diesen Fällen nutzen wir insbesondere Exom- und Genomanalysen zur  molekularen Diagnostik der dem klinischen Bild zugrunde liegenden genetischen Veränderung sowie zum Erforschen neuer, bislang unbekannter genetischer Ursachen.

Zur fachübergreifenden Erforschung der physiologischen und pathologischen Wirkung spannungsabhängiger Natriumkanäle sind wir zudem Teil des Sodium Channel Networks Aachen (SCN Aachen). Die multidisziplinäre Arbeit des Netzwerks soll helfen, genetische Varianten auf Basis elektrophysiologischer, biophysikalischer und pharmakologischer Untersuchungen hinsichtlich ihrer Relevanz für das klinische Bild der jeweiligen Schmerzerkrankung einzuordnen. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des SCN Aachen). Ziel ist die Entwicklung gerichteter Therapien und Medikamente im Hinblick auf die jeweilige genetische Veränderung.

Ansprechpersonen

Dr. rer. nat. Katja Eggermann
keggermannukaachende

Dr. rer. nat. Natja Haag
nhaagukaachende

Univ.-Prof. Dr. med. Ingo Kurth

Dr. rer. nat. Annette Lischka
alischkaukaachende