Der akute ischämische Schlaganfall (Hirninfarkt) ist nach dem Herzinfarkt und Krebserkrankungen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Versperren ein Blutgerinnsel oder Ablagerungen in einem Gefäß die Blutversorgung des Gehirns, werden Nervenzellen im Gehirn nur unzureichend mit Sauerstoff versorgt und sterben in der Folge ab. Um die Schäden des Gehirns möglichst gering zu halten, muss die Behandlung umgehend erfolgen. Dabei zählt jede Minute – oder wie Ärzte sagen: „Zeit ist Gehirn“ („Time is Brain“).
Thrombektomie als bewährte Methode
Bei einem akuten Schlaganfall geht es darum, die Durchblutung des betroffenen Gehirnbereichs so rasch wie möglich wiederherzustellen. In spezialisierten Krankenhäusern wie der Uniklinik RWTH Aachen profitieren Betroffene von der modernen minimal-invasiven Methode der Thrombektomie. Dabei schieben spezialisierte Neuroradiologen von der Leiste aus einen sehr dünnen Katheter bis an die Stelle des Gehirns, an der das Blutgerinnsel (Thrombus) eine Arterie blockiert. „Der Katheter durchbohrt den Thrombus und umschließt das Gerinnsel mit einem Stent, bestehend aus winzigen Drahtgeflechten. Das Gerinnsel wird somit eingefangen und über einen Hohlkatheter abgesaugt und entfernt“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Martin Wiesmann das Vorgehen bei einer Thrombektomie. Mithilfe dieser Behandlungsmethode lassen sich auch relativ große Gerinnsel in kürzester Zeit erfolgreich entfernen und Gefäße wieder öffnen. Dadurch bleiben vielen Patienten schwerwiegende Behinderungen infolge des Schlaganfalls erspart, sie können vollständig genesen.
Verschluss der Halsschlagader
„Eine alleinige Thrombektomie im Rahmen der Schlaganfallbehandlung ist jedoch nicht immer möglich und auch nicht pauschal für jeden Patienten geeignet“, weiß Prof. Wiesmann. Bei jedem fünften Patienten ist der Grund für den Schlaganfall eine schon länger bestehende Engstelle an der Halsschlagader (Arteria carotis interna). In solchen Fällen ist meist das Einsetzen eines Stents in der Halsschlagader notwendig, bevor die Katheterbehandlung durchgeführt werden kann. „Das ist ein bewährtes und erfolgreiches Verfahren zur Behandlung von Engstellen in den Gefäßen, hat jedoch einen wichtigen Nachteil“, so der Neuroradiologe. Um einen Stent einsetzen zu können, wird dem Patienten vorab ein Medikament zur Gerinnungshemmung zugeführt. „Diese medikamentöse Blutverdünnung schützt unsere Patienten vor einer Gerinnselbildung am Stent, erhöht aber leider auch die Gefahr, dass es nach eigentlich erfolgreicher Behandlung des Schlaganfalls zu einer Hirnblutung kommt“, so der Experte. Mit einem neuen Verfahren ist es Spezialisten an der Uniklinik RWTH Aachen nicht nur gelungen, dieses Problem zu lösen, sondern darüber hinaus die Heilungschancen von Schlaganfallpatienten zu verbessern.
Großer Fortschritt in der akuten Schlaganfallbehandlung
Bereits seit vielen Jahren behandeln Gefäßchirurgen Engstellen an den Halsschlagadern erfolgreich mittels einer offenen Operation, um Schlaganfällen vorzubeugen. Doch bei einem akuten Schlaganfall, wenn es auf jede Minute in der Behandlung ankommt, war ein solcher operativer Eingriff bis dato nicht möglich. In enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Gefäßchirurgie hat das Team um Prof. Wiesmann an der Uniklinik eine Kombinationstherapie, bestehend aus Thrombektomie und offener Operation, etabliert. „Sobald ein Schlaganfallpatient in die Uniklinik RWTH Aachen eingeliefert wird, leiten die Anästhesisten umgehend eine Narkose ein und die Neuroradiologen beginnen mit der kathetergestützten Behandlung der Gehirngefäße. Im gleichen Eingriff erweitern die Gefäßchirurgen die verengte Halsschlagader mit einer kleinen offenen Operation“, erklärt Prof. Wiesmann den neuen Ansatz. Somit ist kein Stent mehr erforderlich, und damit auch keineMedikamentengabe zur Gerinnungshemmung.
Studien belegen Erfolg: Blutungsrate halbiert
Wie häufig es nach einer Schlaganfallbehandlung zu Hirnblutungen kommt und obdie Kombination beider Behandlungsmethoden zu einem zusätzlichen Vorteil für die Patienten führt, wurde in mehreren Studien untersucht. Die ersten Ergebnisse wurden nun in zwei renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht und sind vielversprechend: Fast jeder fünfte Patient, bei dem im Rahmen einer Schlaganfallbehandlung ein Stent in einer Halsschlagader gesetzt wurde, erlitt anschließend eine Gehirnblutung. „Mit der neuartigen, kombinierten Behandlung konnten wir die Blutungsrate mehr als halbieren“, resümiert der Klinikdirektor seine Arbeit. Er ist von den Erfolgschancen überzeugt und blickt erwartungsvoll in die Zukunft: „Das ist ein weiterer wichtiger Schritt auf unserem Weg zu einer verbesserten Schlaganfalltherapie, von der möglichst viele Patienten profitieren sollen. Wir glauben daran, dass moderne Medizin am besten funktioniert, wenn Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen Hand in Hand für den Erfolg ihrer Patienten zusammenarbeiten.“
Zu den Publikationen:
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32940724/
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33472192/