In Deutschland sind circa vier Millionen Menschen von seltenen und meist genetisch-bedingten Erkrankungen betroffen. Trotz der umfänglichen Suche nach der genetischen Ursache dieser Erkrankungen können momentan nur rund 30 Prozent der Fälle gelöst werden. Ein Grund sind technische Limitationen gängiger Verfahren zur Analyse des Genoms. Hierbei lassen sich nur kurze Abschnitte des Genoms am Stück lesen, sodass viele Auffälligkeiten wie Umlagerungen von genomischen Bereichen oder sich hintereinander wiederholende Abschnitte nicht erfasst werden können. Das Institut für Humangenetik und Genommedizin an der Uniklinik RWTH Aachen hat beim Kick-off-Treffen in Frankfurt gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Charité, der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Universitätsklinikum Tübingen und unter Beteiligung der Firma Oxford Nanopore Technologies den Startschuss für das deutschlandweite „lonGER“-Projekt zur Diagnosefindung bei Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen mithilfe der Nanoporesequenzierung gegeben.
Bei der Nanoporesequenzierung, einer sogenannten long-read Sequenziermethode, wird der DNA-Strang, auf dem sich die Erbinformation befindet, durch eine winzige Proteinpore gezogen und dabei dessen Sequenz ausgelesen. Wie der Name verrät, ist es möglich, mit diesen Methoden genomische Abschnitte bis zu mehreren 100.000 Basen Länge zu sequenzieren, was der 100 bis 1.000-fachen Länge von herkömmlichen Sequenzierverfahren entspricht. Anhand dieser langen Sequenzen lässt sich viel leichter ein „Gesamtbild“ des Genoms erstellen.
Im lonGER“-Projek untersucht das Forschungsteam, in welchen Bereichen sich mit der Nanoporesequenzierung Vorteile gegenüber den herkömmlichen Sequenziermethoden ergeben. Außerdem sollen innerhalb des neu gebildeten Konsortiums gemeinsame Laborabläufe und bioinformatische Auswertemethoden erarbeitet werden, um die Verfahren im Rahmen des Modellvorhabens Genomsequenzierung in die Krankenversorgung zu überführen. Univ.-Prof. Dr. med. Ingo Kurth, Direktor des Instituts für Humangenetik und Genommedizin, hält fest: „Wir freuen uns sehr über die Möglichkeit, dieses zusätzliche Sequenzierverfahren anzuwenden und glauben, dass wir hierdurch bei vielen Patientinnen und Patienten ohne Diagnose eine Lösung finden werden.“.
Dr. Florian Kraft, Post-Doc und Leiter des Bereichs Nanoporesequenzierung am Institut für Humangenetik und Genommedizin, ergänzt: „Die Analyse struktureller Varianten und der Methylierungsmuster des Genoms wird die Entdeckung neuer Krankheitsmechanismen ermöglichen. Auch die Beurteilung schwieriger Genabschnitte durch long-reads wird die Diagnostik weiter verbessern.“