Mehr als zwölf Millionen Menschen in Deutschland rauchen, schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen sind abhängig von Alkohol und bei circa 2,3 Millionen Deutschen besteht eine Abhängigkeit von Medikamenten. Hinzu kommen circa 600.000 Menschen, bei denen ein problematischer Umgang mit illegalen Drogen vorliegt. Suchterkrankungen sind schon lange kein gesellschaftliches Randphänomen mehr.
„Suchterkrankungen können fatale Auswirkungen auf das Privat- und Berufsleben haben und den Alltag bestimmen“, weiß Dr. med. univ. Yvonne Chikere, verantwortliche Oberärztin der Sprechstunde für Alkoholentwöhnung der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen. Nicht jeder, der Suchtmittel konsumiert, ist abhängig. Dennoch besteht für einige Menschen die Gefahr, die Kontrolle über den Konsum zu verlieren. Die Entwicklung einer schweren Abhängigkeit ist hierbei ein Prozess, die Übergänge sind oft fließend.
Ein typischer Fall: Ein Betroffener leidet aufgrund von Stress unter Schlafstörungen und beginnt diese mit dem Konsum von Alkohol oder Cannabis zu behandeln. Nach und nach muss er die Dosis erhöhen, damit die erwünschte Wirkung anhält. Mit der Zeit ist ein Einschlafen ohne Substanzkonsum nicht mehr möglich, der Betroffene gerät in die Abhängigkeit.
Häufige Motive für die Einnahme von Suchtmitteln sind unter anderem Schmerzlinderung, Leistungssteigerung, Stimmungsaufhellung oder der Wunsch nach Betäubung und Verdrängung von Konflikten. Die unbefriedigende Situation wird durch das Suchtmittel zunächst scheinbar gebessert. Doch nach Abklingen der Substanzwirkung folgt die Ernüchterung durch die Konfrontation mit der Realität, das Verlangen nach erneutem Konsum steigt. Auf neurobiologischer Ebene wird durch den Konsum abhängigkeitserzeugender Substanzen das Belohnungssystem aktiviert, es kommt zu einer erhöhten Dopaminausschüttung. Das Gehirn verknüpft den positiven Reiz mit der Konsumhandlung und „fordert“ diesen wiederholt ein.
Diagnose eines schädlichen Substanzgebrauchs
Ärztinnen und Ärzte sprechen von einem schädlichen Substanzgebrauch (Alkohol, Drogen, Medikamente), wenn der Konsum für körperliche oder psychische Konsequenzen verantwortlich ist und eine klar beschreibbare Schädigung vorliegt. Bestimmte Kriterien müssen hierfür erfüllt sein. Eine formal eigene Kategorie stellen die sogenannten stoffungebundenen Süchte (siehe unten) dar. Menschen mit einer Suchterkrankung benötigen dringend Hilfe. Das primäre Behandlungsziel aller Therapien ist die Abstinenz. Eine Reduktion des Substanzkonsums im Sinne eines „kontrollierten Konsums“ sollte nur bei riskantem oder schädlichem Gebrauch geraten werden, wenn die genannten Abhängigkeitskriterien nicht zutreffen. Typischerweise müssen Betroffene zunächst eine (körperliche) Entgiftung beziehungsweise Entzugsbehandlung durchmachen, die in der Regel stationär in einer Klink erfolgt. Im Anschluss werden im Rahmen der sogenannten Entwöhnungstherapie insbesondere Ursachen und Auslöser des Substanzkonsums erarbeitet und Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe getroffen, um einem erneuten Substanzkonsum vorzubeugen. Meist unternehmen Betroffene mehrere Anläufe,
bevor eine stabile und längerfristige Abstinenz tatsächlich erreicht wird.
Oft ist es erforderlich, dass Betroffene ihren gewohnten Lebensstil verändern, wofür sie Hilfe bei der Wiedereingliederung in ihr Berufs- und Privatleben benötigen. In der Regel sind sie auf eine langfristige Nachbetreuung angewiesen. Auch körperliche Folgeschäden, die durch chronischen Substanzkonsum bedingt sind, erfordern oftmals eine kontinuierliche und langfristige Weiterbehandlung.