Erkrankt ein Elternteil mit minderjährigen Kindern an Krebs, kann das alle Familienmitglieder stark belasten. Schnell stoßen Betroffene in dieser besonderen Situation organisatorisch und emotional an ihre Grenzen. Vor rund zehn Jahren haben sich das Centrum für Integrierte Onkologie – CIO Aachen der Uniklinik RWTH Aachen und der Caritasverband Aachen gemeinsam auf den Weg gemacht, um Familien mit einem an Krebs erkrankten Elternteil und minderjährigen Kindern zu unterstützen. Mit der Etablierung des Modellprojekts „Brückenschlag“ wurde 2013 der Grundstein für ein überregionales Versorgungsangebot gelegt.
Um die Wirksamkeit dieser Versorgungsform auch wissenschaftlich zu belegen und damit in die Regelversorgung überführen zu können, initiierten die Verantwortlichen der Uniklinik RWTH Aachen in Kooperation mit den Partnerstandorten am CIO Düsseldorf und CIO Bonn 2018 das Studienprojekt „Familien-SCOUT“, das durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses mit rund 2,8 Millionen Euro gefördert wurde. Kern des Projekts sind die sogenannten Familien-Scouts, feste Ansprechpartnerinnen und -partner, die Eltern und Kindern in den betroffenen Familien neun Monate unterstützend zur Seite stehen: Sie beraten nicht nur bei sozialrechtlichen oder finanziellen Fragen, sondern ermutigen auch zu offenen Gesprächen und unterstützen bei der Etablierung stabiler Betreuungsstrukturen. Um zu evaluieren, ob die Belastung der Familien mit der Zeit durch den Einsatz von Familien-Scouts sinkt, wurden Untersuchungen vor und nach der Begleitung durchgeführt. Als Datengrundlage dienten etablierte Fragebögen, Interviews und Routinedaten der teilnehmenden Krankenkassen. An der Studie nahmen insgesamt 472 Familien und circa 1.500 Familienmitglieder teil.
Familien-SCOUT wirkt
Die Ergebnisse überzeugen: Das Projekt konnte nicht nur aufzeigen, dass sich Belastungen in mehr als zwei Dritteln der untersuchten Familien reduzierten, auch die Lebensqualität der Kinder hat sich deutlich erhöht – oft auch trotz Weiterentwicklung der Krebserkrankung. Zudem nahmen kommunikative Fähigkeiten und Problemlösungsstrategien in den Familien zu.
Meilenstein für die Onkologie am Standort Aachen
In seiner Sitzung am 16. August 2024 hat der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses auf Basis der Projektergebnisse nun eine Empfehlung für die Überführung in die sozialrechtliche Regelversorgung ausgesprochen. Künftig soll – im Sinne des ganzheitlichen Angebots – eine träger-, sektoren- und krankheitsphasenübergreifende Versorgung von Familien mit Krebserkrankungen bundesweit ermöglicht werden.
„Dieser Erfolg ist nur möglich durch die beeindruckende Zusammenarbeit vieler engagierter Menschen aus ganz verschiedenen Institutionen und mit ganz unterschiedlichem Expertenwissen: aus der freien Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitssystem, aus den Krankenkassen und den Jugendämtern, aus Sozialarbeitenden und Versorgungsforschenden, aus der Praxis und der Wissenschaft“, so die Psychoonkologin und Projektleiterin am CIO Aachen, Dr. med. Andrea Petermann-Meyer.
Für Univ.-Prof. Dr. med. Tim H. Brümmendorf, Direktor des CIO Aachen, ist die Empfehlung ein großer Meilenstein: „Mit Familien-SCOUT ist uns erstmals aus Aachen heraus gelungen, eine neu geschaffene Struktur in der onkologischen Versorgung von einer spendenbasierten Initiative gemeinsam mit der Caritas über eine G-BA finanzierte und über die CIO-Standorte hinweg durchgeführte Studie in die Regelversorgung zu überführen. Das ist ein absoluter Meilenstein für die Onkologie in Aachen und darüber hinaus. Künftig können wir auf diese Weise deutschlandweit einen langfristigen Beitrag für die Versorgung von Familien mit Krebserkrankungen leisten.“