Herzinfarkte sind nicht nur akute medizinische Notfälle, auch nach erfolgreicher Erstbehandlung können schwerwiegende und zum Teil tödliche Spätfolgen auftreten. Ursache hierfür sind die nach einem Herzinfarkt auftretenden Veränderungen in Größe, Form und Funktion des Herzens. Bisher ist weitgehend unbekannt, wie dieser Umbau des Herzens, die sogenannte Remodelierung, funktioniert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Heidelberg und der Uniklinik RWTH Aachen haben nun umfangreiche Daten über die zellulären Prozesse während der Remodelierung zu einer „Landkarte des Herzinfarktes“ zusammengetragen. Mittels künstlicher Intelligenz konnten sie Zellzustände identifizieren, die offenbar charakteristisch für die kardialen Umbauprozesse sind. Das Fachmagazin Nature veröffentlicht die Forschungsergebnisse aktuell unter dem Titel „A spatial multi-omics map of human myocardial infarction”.
Die interdisziplinäre Projektgruppe arbeitete unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Rafael Kramann, Direktor des Instituts für Experimentelle Innere Medizin und Systembiologie, und Univ.-Prof. Ivan Costa, Direktor des Institute for Computational Genomics, beide von der Uniklinik RWTH Aachen, sowie mit Professor Dr. Julio Saez-Rodriguez vom Institute for Computational Biomedicine des Universitätsklinikums Heidelberg. Ihre Arbeiten wurden gefördert durch die Initiative Informatics4live der Klaus Tschira Stiftung, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Hochleistungsanalyse erlaubt zellulären Rundumblick
Das Team untersuchte Gewebeproben von gesunden Personen und verglich sie mit Proben von Patientinnen und Patienten, die eine Remodelierung des Herzens zeig-ten. Die Proben wurden aus verschiedenen Teilen des Herzens zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach einem Herzinfarkt genommen. Durchgeführt wurde dies von Professor Henrik Milting und seiner Arbeitsgruppe am Erich & Hanna Klessmann Institut für Kardiovaskuläre Forschung und Entwicklung in Bad Oeynhausen gemeinsam mit Kollaborationspartnern in den Niederlanden. Analysiert wurden für einzelne Zellen das sogenannte Multi-om, die Eigenschaften der Hülle des Erbguts (Epigenom), und Proteinbaupläne, die aus dem Erbgut erstellt werden (Transkriptom). Das Transkriptom wurde parallel von einzelnen Zellen und räumlicher Auflösung gemessen, so dass die Struktur des Gewebes und seine Schädigung untersucht werden konnten.
In welchem Zelltyp und an welcher Stelle des Herzens ist beim Umbau nach einem Herzinfarkt welches Gen verändert? Wie unterscheiden sich diese Zellen von Zellen gesunder Personen, und wo sind Teile der Gene in der Aktivität eingeschränkt? Die Datensätze der räumlichen Multi-om-Analysen enthielten zahlreiche Informationen, welche die Beantwortung der Fragen ermöglichen. Entstanden ist eine Landkarte des Herzens, auf der die Folgen eines Herzinfarktes nachvollzogen und besser verstan-den werden können. „Derart umfangreiche molekulare Analysen in einer ausreichen-den Geschwindigkeit sind erst seit wenigen Jahren und dank technischer Entwicklungen bei den Analysemethoden möglich“, so Privatdozent Dr. Christoph Kuppe, Oberarzt am Institut für Experimentelle Innere Medizin und Systembiologie der Uniklinik RWTH Aachen.
Künstliche Intelligenz macht Muster in Datenmenge sichtbar
Das Multi-om einer einzelnen Zelle ist ein Datensatz von vielen Gigabytes. Diese Datenmenge kann von Hand nicht mehr analysiert werden. Daher setzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Analyse Methoden der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens ein. Ein eigens entwickeltes Verfahren vergleicht Wert für Wert und Probe für Probe. Findet es dabei Kombinationen von Werten, die nur bei Proben von erkrankten Personen auftreten, wird die Kombination als krankheitstypisch gewertet. Der Algorithmus hat mehrere Zellzustände und Zelltypen identifiziert, die offenbar charakteristisch für die Remodelierung sind. „Das ist ein wichtiger erster Schritt, um die Spätfolgen des Herzinfarktes besser zu verstehen“, erklärt Professor Rafael Kramann von der Uniklinik RWTH Aachen. Nun hoffen die Forschenden, die ihre Herzinfarktkarte und die Software unter Open-Source-Lizenz der Wissenschaftswelt zur freien Verfügung gestellt haben, dass auf dieser Grundlage Therapie- und Präventionsansätze gefunden werden, um die langfristigen Folgen von Herzinfarkten zu verhindern.