Mit dem Ziel, schwerkranken Menschen neue Behandlungsperspektiven durch gen- und zellbasierte Therapien bieten zu können und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Forschungs und Innovationsstandortes Deutschland auf dem Gebiet der gen- und zellbasierten Therapien langfristig zu stärken, haben sich rund 150 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammengeschlossen und im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eine Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien entwickelt.
Aus Aachen sind gleich sechs Wissenschaftler Teil des großen Expertengremiums: Prof. Dr. Sven Stegemann (Leibniz Joint Lab ‚first in Translation‘), Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Hannes Klump, Priv.-Doz. Dr. med. Fabian Beier und Senior-Professor Dr. rer. nat. Martin Zenke (Uniklinik RWTH Aachen) sowie Univ.-Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt und Prof. Dr.-Ing. Jørgen Magnus (RWTH Aachen). Das Strategiepapier ist heute, am 12. Juni 2024, an die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, in Berlin übergeben und veröffentlicht worden.
Gen- und zellbasierte Therapien haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie der nächste Quantensprung in der Behandlung schwerer, bislang unheilbarer Erkrankungen sein können. Ein bekanntes Beispiel ist die sogenannte CAR-T-Zell-Therapie zur Behandlung bestimmter Formen von Blutkrebs: Hier werden körpereigene Immunzellen so programmiert, dass sie Tumorzellen erkennen können und sie zum Absterben bringen.
„Deutschland nimmt eine führende Rolle in der Gen- und Zelltherapieforschung ein, allerdings findet die weitere Entwicklung und Wertschöpfung zumeist in anderen Ländern statt. Patientinnen und Patienten erhalten dadurch erst verspätet Zugang zu innovativen Therapien. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Es bedarf unter anderem schlankerer Prozesse bei den behördlichen Verfahren, einer intensivierten Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie sowie der Ausbildung neuer Fachkräfte“, erläutert Sven Stegemann, Leiter des Leibniz Joint Lab ‚first in Translation‘ am DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien aus Aachen. Er ist Teil des Expertengremiums, das die Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien erarbeitet hat. Indem in die Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien die Perspektiven aus Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft eingeflossen sind, stünden der Politik Handlungsempfehlungen zur Verfügung, die Weichen für sowohl den schnellen Zugang von innovativen Therapien als auch die Wertschöpfung des Potentials in Deutschland zu stellen, erklärt er.
Breite Aachener Expertise mit eingeflossen
Die Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien unterteilt sich in acht Handlungsfelder, in denen detaillierte Ziele und Maßnahmen vorgeschlagen werden. Mit sechs mitwirkenden Wissenschaftlern ist der Wissenschaftsstandort Aachen im NRW-Vergleich am stärksten vertreten: Sven Stegemann hat sich mit seiner Expertise in den Bereichen Technologietransfer und den qualifizierten Produktionsstätten für gen- und zellbasierter Therapie-Produkte eingebracht. Von der Uniklinik RWTH Aachen haben Hannes Klump (Institut für Transfusionsmedizin und zelluläre Therapeutika), Fabian Beier (Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation) und Martin Zenke (Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation) in den Handlungsfeldern zu Ausbildung und Kompetenzstärkung, Marktzulassung und Anwendung in der Versorgung sowie Interaktion mit der Gesellschaft mitgearbeitet. Robert Schmitt (WZL der RWTH Aachen und Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie) und Jørgen Magnus (Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik) der RWTH Aachen haben ebenfalls ihre Expertise in die Handlungsfelder zum Technologietransfer und den qualifizierten Produktionsstätten für gen- und zellbasierter Therapie-Produkte einfließen lassen. Der Standort Aachen war somit in fast allen Arbeitsgruppen vertreten.
Auch Prof. Dr. Stefan Uhlig, Dekan der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen University, betont die Bedeutung der Nationalen Strategie für gen- und zellbasierte Therapien für den medizinischen Forschungsstandort Aachen: „Unser Ziel ist, Aachen als Translationshub für Medizintechnik zu etablieren. Dazu passt ausdrücklich die gen- und zellbasierte Therapie. Das zeigen auch die vielen Aachener Experten auf diesem Feld." Unter Translationshubs versteht man Zentren der Universitätsmedizin, die sich der Überführung grundlagenwissenschaftlicher Forschungsergebnisse in neue präventive, diagnostische oder therapeutische Verfahren zur Anwendung am Menschen widmen.
Rahmen für Zusammenarbeit gesetzt
Die Zell- und Gentherapie ist ein sich schnell entwickelndes Feld, sodass die erarbeiteten Maßnahmen dieser Dynamik Rechnung tragen müssten. Sven Stegemann beschäftigt sich speziell mit den notwendigen Maßnahmen für die Herstellung und Bereitstellung von gen- und zellbasierten Therapien zur Anwendung an Patientinnen und Patienten. Der Bedarf sei steigend, erläutert er, es müssen unbedingt entsprechende Herstellungskapazitäten gemäß den geltenden Richtlinien zur Verfügung gestellt werden.
Im Handlungsfeld ‚Ausbau von Qualität und Kapazitäten in der GMP-Produktion‘ (sogenannte Good Manifacturing Practice-Produktion) führt er als Sprecher dieser Arbeitsgruppe den bedarfsgerechten Auf- und Ausbau von qualifizierten Produktions-Infrastrukturen wie dem Leibniz Joint Lab ‚first in Translation‘ einschließlich der Ausbildung des qualifizierten Personals als hohe Priorität an. „Auch die Einrichtung eines zentralen Gremiums für Regulatorik in der gen- und zellbasierten Therapie, welches kontinuierlich den Bedarf analysiert und entsprechend vorantreibt, wird in unserer Arbeitsgruppe als essenziell erfasst. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass notwendige Investitionen zielgerichtet und schnell erfolgen und die vorhandenen Stärken in der gen- und zellbasierten Therapie in Deutschland effektiv ausgebaut werden“, so Stegemann. Nur so bestünde die Chance, dass der Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb eine führende Rolle einnehme. „Wir verfügen über alle Möglichkeiten, die Technologiesouveränität in der Zell- und Gentherapie in Deutschland zu erhalten und weiter auszubauen. Jetzt ist die Zeit, sie zu nutzen“, schließt Stegemann ab.
Im Herbst 2022 wurde das Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) vom BMBF damit beauftragt, die Erstellung einer Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien zu koordinieren. Im Zeitraum von Oktober 2023 bis Mai 2024 erarbeiteten die rund 150 ernannten Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Wissenschaft, Industrie, Politik und Gesellschaft in acht Arbeitsgruppen mit organisatorischer Unterstützung des BIH das Dokument zur Nationalen Strategie für gen- und zellbasierte Therapien. Im Dokument sind die Herausforderungen in den unterschiedlichen Handlungsfeldern benannt und es werden jeweils entsprechende Maßnahmen zur Umsetzung vorgeschlagen.
Quelle: DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien e.V