1,4 Millionen Euro Förderung: Etablierung eines neuen Verfahrens zur verbesserten Qualitätskontrolle von pluripotenten Stammzellen

Mit dem sogenannten „PluripotencyScreen“ hat ein Forschungsteam um Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Wolfgang Wagner, Direktor des Instituts für Stammzellbiologie an der Uniklinik RWTH Aachen, ein neuartiges Testverfahren entwickelt, mit dem sich pluripotente Stammzellen zuverlässig charakterisieren lassen. Diese Innovation könnte weitreichende Auswirkungen auf verschiedene Bereiche wie Grundlagenforschung, regenerative Medizin und Medikamentenforschung haben. Um diese Forschungs- und Entwicklungsarbeit weiter voranzutreiben, unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Vorhaben im Rahmen seiner Fördermaßnahme „Validierung des technologischen und gesellschaftlichen Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung - VIP+“ für drei Jahre mit rund 1,4 Millionen Euro.

Einmal Hautzelle, immer Hautzelle – diese Annahme herrschte lange Zeit. Doch seit einigen Jahren kennt man Möglichkeiten den Zelltyp reversibel zu verändern. So ist es möglich, beliebige erwachsene Körperzellen, beispielsweise Hautzellen, umzuprogrammieren und in den embryonalen Stammzellzustand zurückzusetzen. Die damit erzeugten, sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen, kurz iPSC, lassen sich nahezu unbegrenzt vermehren, während sich andere Körperzellen als spezialisierte Zellen nur begrenzt weiter teilen können. „Pluripotente Stammzellen sind wahre Alleskönner. Sie besitzen die Fähigkeit, sich zu Zellen der drei Keimblätter – Ektoderm, Entoderm, Mesoderm – und der Keimbahn eines Organismus zu entwickeln. Aus den Keimblättern wiederum lassen sich alle Zelltypen des menschlichen Körpers ableiten, beispielsweise Blutzellen, Leberzellen und Nervenzellen“, erklärt Prof. Wagner die Grundlage. Sie sind somit noch auf keinen bestimmten Gewebetyp festgelegt.

Im Ursprung sind pluripotente Stammzellen unspezialisierte Vorgängerzellen, die während der Embryonalentwicklung durch vielfache Differenzierung und Teilung verschiedene Stufen durchlaufen bis sie letztlich einen bestimmten Endzustand annehmen. „Solange sie noch auf keinen bestimmten Gewebetyp festgelegt sind, können sie zu jedem beliebigen Zelltyp eines Organismus differenzieren“, so der Institutsleiter.

Notwendigkeit der Optimierung biotechnologischer Werkzeuge

Mit der Beschreibung von iPSC vor rund 16 Jahren brach eine neue Ära in der Zellbiologie an. Dass sich menschliche pluripotente Stammzellen künstlich im Labor differenzieren lassen, macht sie für Forschende besonders interessant. Ihnen bietet sich eine einzigartige Möglichkeit, Zusammenhänge zur Entstehung des menschlichen Körpers, aber auch die Entwicklung und Veränderungen von (Erb-)Krankheiten zu entschlüsseln. „Aufgrund des enormen Anwendungspotentials von iPSC ist abzusehen, dass der große Bedarf für eine zuverlässige Charakterisierung und standardisierte Qualitätsanalyse der Zellprodukte weiter zunehmen wird. Denn solche Qualitätskontrollen sind für klinische und medizinische Anwendungen essentiell“, weiß Prof. Wagner.

Doch ein robuster, einfacher und quantitativer Nachweis einer erfolgreichen Reprogrammierung in iPSC und deren Differenzierungspotential stellt nach wie vor eine wesentliche Herausforderung dar. „Zellkolonien von pluripotenten Stammzellen zeichnen sich durch ein charakteristisches Wachstumsmuster aus. Aufschluss darüber, ob aus den körpereigenen Zellen erfolgreich Stammzellen hergestellt wurden und ob sich die Zellen in alle Zelllinien entwickeln können, geben morphologische Merkmale. Diese morphologischen Parameter geben jedoch keine Hinweise auf linienspezifische Differenzierungen. Das Differenzierungsverhalten kann anhand von Oberflächenmarkern, Genexpressionsmustern oder die Injektion der Zellen in Mausmodelle getestet werden“, erklärt der Wissenschaftler. Die bislang etablierten Analysemethoden, basierend auf morphologischen Untersuchungen, Antikörpermessungen, Genexpressionsveränderungen oder Teratombildungen, sind jedoch aufwändig und schwierig zu standardisieren.

PluripotencyScreen revolutioniert Qualitätskontrolle

Um diesem Problem zu begegnen und eine hohe Qualität der Zellen für Forschung und klinische Anwendung sicherzustellen, hat das Aachener Forschungsteam ein neues, DNA-basiertes Verfahren zur Zellanalyse entwickelt: Beim sogenannten „PluripotencyScreen“ erfolgt die Qualitätskontrolle von pluripotenten Stammzellen anhand der DNA-Methylierung.

Die Differenzierungsprozesse werden von epigenetischen Veränderungen begleitet, die sich unter anderem in der Änderung des DNA-Methylierungsmusters widerspiegeln.„Mit PluripotencyScreen können wir die Stammzellen im Labor auf epigenetischer Ebene kontrollieren. Das heißt, wir schauen, welche Veränderungen am Bauplan der Zelle, also an der DNA, angebracht werden, um Hinweise über die Qualität der Zellen, die erfolgreiche Reprogrammierung und das Entwicklungspotenzial zu gewinnen. Die DNA-Methylierung stellt somit einen hervorragenden Biomarker dar und eröffnet neue Möglichkeiten für die zelluläre Charakterisierung und um Entwicklungsprozesse nachzuvollziehen“, erklärt Prof. Wagner sein neues Messverfahren.

Die Ergebnisse lassen sich durch gezielte DNA-Methylierungsanalyse mithilfe verschiedener Methoden bestimmen wie Pyrosequenzierung, digitale Tröpfchen-PCR (ddPCR) oder Amplikonsequenzierung. Dies ermöglicht einen breiten Anwenderkreis und je nach Verfahren auch Hochdurchsatz-Untersuchungen.

„Im Gegensatz zu anderen Testverfahren kann mit unserem PluripotencyScreen die Prüfung nicht nur kostengünstiger und mit geringerem Aufwand im Labor durchgeführt und ausgewertet werden. Es reduziert zugleich die Notwendigkeit von Tierversuchen, da es Teratom-Untersuchungen am Mausmodell ersetzen kann“, ergänzt Dr. Kira Zeevaert, Projektbeteiligte und Post-Doktorandin am Institut für Stammzellbiologie der Uniklinik RWTH Aachen.

Forschung auf dem Prüfstand

Aktuell befindet sich das Projekt noch in der reinen Forschungsphase. „Dank der Förderung können wir nun Versuche mit einer größeren Zahl an Zelllinien durchführen und Differenzierungen in unterschiedliche Zelltypen untersuchen, um so die Genauigkeit des PluripotencyScreen zu optimieren. Außerdem sollen zusätzlich zu der bisher verwendeten Analysemethode, der Pyrosequenzierung, weitere Analysemethoden hinzugefügt werden, die eine kostengünstigere sowie schnellere Handhabung und Auswertung ermöglichen“, erläutert Dr. Zeevaert die nächsten Schritte.

Große Zukunftschance für Stammzelltherapien

Ziel ist es, nach erfolgreicher Marktöffnung das Verfahren als kommerzielles Kit oder als Service-Leistung anderen Forschungseinrichtungen bzw. -gruppen zur Verfügung zu stellen.

„PluripotencyScreen ermöglicht eine einheitliche, reproduzierbarere Analyse von Stammzellen und erleichtert Forschenden die Arbeit. Perspektivisch hat unser Verfahren das Potenzial für bahnbrechende Veränderungen in der Gesundheitsversorgung. Es kann die Entwicklung von Stammzelltherapien in der regenerativen Medizin voranbringen und den Einsatz von Stammzellen in der Pharmaindustrie sowie in Kliniken verbessern“, zeigt sich Prof. Wagner hoffnungsvoll.

Validierungsförderung VIP+

Mit der Fördermaßnahme „Validierung des technologischen und gesellschaftlichen Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung – VIP+“ möchte das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Lücke zwischen ersten Ergebnissen aus der Grundlagenforschung und einer möglichen gesellschaftlichen Anwendung schließen, um so die Innovationskraft auf Bundesebene weiter zu stärken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diverser Disziplinen wie Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften, aber auch der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften werden ermutigt und dabei unterstützt, das Innovationspotenzial ihrer Forschungsergebnisse zu prüfen und nachzuweisen sowie mögliche Anwendungsbereiche zu erschließen. So schafft VIP+ die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung von Forschungsergebnissen und beschleunigt den Wissens- und Erkenntnistransfer in die Wirtschaft.

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