Seit 1993 zeichnet FOCUS Gesundheit mit der „Ärzteliste“ einmal jährlich Ärztinnen und Ärzte aus, die, so schreibt es das Magazin auf der Homepage, „als absolute Spezialisten ihres Fachs gelten und sich über ihre Behandlungsleistung hervorheben“. Zu Beginn der Datenerhebung wurden etwa 500 Personen ausgezeichnet, heute enthält die Liste mehr als 4.000 Empfehlungen. Die in der „Ärzteliste“ aufgeführten Medizinerinnen und Mediziner werden in einem mehrstufigen Verfahren in Zusammenarbeit mit dem Recherche-Institut FactField GmbH ermittelt: In die Datenerhebung werden zunächst alle Ärzte und Klinikärzte, die eine Weiterbildungsbefugnis, eine Habilitation, eine Führungsposition in einem Krankenhaus oder einer medizinischen Fachgesellschaft haben oder bereits in der Vergangenheit als FOCUS-Mediziner ausgezeichnet wurden, aufgenommen. Im nächsten Schritt werden zusätzliche Datenquellen, darunter Facharztqualifikationen und wissenschaftliche Publikationen berücksichtigt. Anschließend erhalten die Teilnehmenden einen Fragebogen zur Selbstauskunft. FactField ordnet die gesammelten Informationen fünf Empfehlungskriterien zu und berechnet eine Gesamtpunktzahl für jeden Mediziner. Für eine Lizenzgebühr von rund 2.000 Euro netto dürfen die in der Liste empfohlenen Ärztinnen und Ärzte mit dem FOCUS-Siegel werben.
Das Geschäftsmodell erfreut sich wachsender Beliebtheit: Seit März 2022 gibt auch das Wochenmagazin stern im Rahmen des Sonderhefts „Gute Ärzte für mich“ einmal jährlich eine Ärzteliste in Kombination mit einem kostenpflichtigen Siegel heraus. Für die Recherche arbeitet der Verlag Gruner + Jahr mit dem Rechercheinstitut Munich Inquire Media (MINQ) zusammen, das bis Ende 2021 an der Erstellung der FOCUS-Ärzteliste mitgewirkt hatte.
Ärzte-Siegel verstoßen gegen das Irreführungsverbot
Am 13. Februar 2023 hat das Landgericht München dem Burda-Verlag nun die Vergabe der „Ärzte-Siegel“ zwecks Werbung untersagt und gab damit einer Unterlassungsklage des Verbraucherschutzvereins „Wettbewerbszentrale“ statt. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Bewertung von Ärztinnen und Ärzte durch die Siegel „Top-Mediziner“ oder „FOCUS Empfehlung“ den Eindruck einer objektiven und sachgerechten Prüfung erweckt – und damit irreführend und wettbewerbswidrig ist. Die Auszeichnung suggeriere, dass die vom FOCUS ausgezeichneten Mediziner eine Spitzenstellung gegenüber anderen Ärzten innehaben.
Die Qualität ärztlicher Leistungen sei jedoch nicht objektiv im Testlabor bestimmbar, urteilte das Landgericht München. Vielmehr stellte das Gericht fest, dass die „Ärztelisten“ des Verlags auf subjektiven Elementen, wie der Empfehlung durch andere Fachkollegen basieren. Insbesondere bei Verbrauchern sei daher ein erhöhtes Risiko einer falschen Einordnung gegeben: Die „Ärzte-Siegel“ könnten mit anderen Prüfsiegeln, wie mit dem der Stiftung Warentest verglichen werden, und somit den Eindruck einer neutralen Analyse erwecken.
Uniklinik RWTH Aachen nimmt Abstand von Auszeichnungen in der „Ärzteliste“
Die Debatte um das FOCUS-„Ärzte-Siegel“ wirft die Frage auf, ob und unter welchen Kriterien medizinische Leistungen von Ärztinnen und Ärzten miteinander verglichen werden können – und wie glaubwürdig die Aussagekraft lizenzpflichtiger Empfehlungen ist. In den vergangenen Jahren wurde stets eine Reihe an Medizinerinnen und Medizinern der Uniklinik RWTH Aachen in der „Ärzteliste“ ausgezeichnet. Bislang wurden die Auszeichnungen über Beiträge auf der Homepage oder durch den Aushang der Urkunden in den Kliniken kommuniziert.
„Die Uniklinik RWTH Aachen nimmt das Gerichtsurteil zum Anlass, sich von dem vom Magazin FOCUS praktizierten Ansatz der Qualitätsmessung ärztlicher Leistungen vom jetzigen Zeitpunkt an zu distanzieren und die Auszeichnungen künftig nicht mehr zu kommunizieren und bewerben. Die Validität der „Ärzte-Siegel“ ist zunehmend fraglich, sie schaffen ein Ungleichgewicht zwischen Medizinerinnen und Medizinern: FOCUS stellt anhand subjektiver Kriterien eine Auswahl an Spitzenmedizinern vor und tut damit anderen Ärztinnen und Ärzten mutmaßlich unrecht, deren Leistungen im Rahmen der subjektiven Bewertungen nicht erfasst werden. Nicht zuletzt haben wir diese Entscheidung auch vor dem Hintergrund möglicher Abmahnungen getroffen: Wer weiterhin mit dem Siegel wirbt, läuft Gefahr, gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen“, erklärt Dr. phil. Mathias Brandstädter, Leiter der Stabsstelle Unternehmenskommunikation der Uniklinik RWTH Aachen.
Valide Maßnahmen zur Förderung und Dokumentation des Qualitätsmanagements nutzen
Dr. med. Patrick Fränkel, Leiter der Stabsstelle für Klinisches Qualitäts- und Risikomanagement der Uniklinik RWTH Aachen, ergänzt: „In den letzten Jahren konnten wir eine zunehmende Etablierung von „Ärztelisten“ beobachten, die Spitzenmedizinerinnen und -mediziner küren – oft mit kostenpflichtigen Auszeichnungen verbunden. Was das Gerichtsurteil gegen den Burda-Verlag für andere Herausgeber bedeutet, bleibt abzuwarten. Letztlich gibt es viele Initiativen zur Förderung und Dokumentation des Qualitätsmanagements unseres Hauses. Wir sind uns sicher, unser universitäres Leistungsspektrum und die fachliche Kompetenz unserer Medizinerinnen und Mediziner durch viele andere Maßnahmen zum Ausdruck bringen zu können“.