Telenotarztdienst im Rettungsdienst der Stadt Aachen
Basierend auf den beiden erfolgreich abgeschlossenen Aachener Forschungsprojekten „Med-on-@ix“ (2007 - 2010) und „TemRas“ (Telemedizinisches Rettungsassistenzsystem, 2010 - 2013) wurde der Telenotarztdienst 2014 durch Beschluss des Rates der Stadt Aachen am 19.03.2014 in den Regelrettungsdienst der Stadt Aachen als europaweit erstes umfassendes telemedizinisches Rettungsassistenzsystem in der prähospitalen Versorgung implementiert. Dieses bietet insbesondere für die Patienten und Patientinnen einen Mehrwert durch eine schnellere Bereitstellung ärztlicher Kompetenz durch den sogenannten Telenotarzt bzw. die Telenotärztin.
Das System „Telenotarzt“ ermöglicht eine unmittelbare, sichere und zuverlässige Telekonsultation eines Notfallmediziners im Rettungseinsatz. Die Live-Übertragung von Vitalparametern, Sprache und Bildmaterial von der Einsatzstelle gestattet es dem Telenotarzt oder der Telenotärztin, sich ein exaktes Bild vom Patienten- und Patientinnenzustand zu machen, um die Rettungskräfte vor Ort durch ärztliche Beratung, Hilfe bei der Diagnose und die rechtsichere Delegation therapeutischer Maßnahmen zu unterstützen.
Auf diese Weise kann insbesondere das arztfreie Intervall bis zum Eintreffen eines „konventionellen“ Notarztes oder einer Notärztin überbrückt werden und die weiterhin vorhandenen notärztlichen Kapazitäten zielgerichtet eingesetzt werden.
Sämtliche rechtlichen Vorgehensweisen und Abläufe wurden im Rahmen der vorhergehenden Forschungsprojekte in Form von Gutachten abgesichert; mit dem Datenschutzbeauftragten der Stadt Aachen wurden zudem alle Vorgehensweisen und Verfahren in Bezug auf Datenspeicherung und Datensicherheit abgestimmt.
Der Telenotarztdienst ist im Rettungsdienstbedarfsplan der Stadt Aachen verankert und somit Bestandteil der öffentlichen Daseinsfürsorge in Ergänzung zum bundesweit üblichen bodengebundenen Notarztdienst.
Der Telenotarzt-Arbeitsplatz befindet sich auf der Feuer- und Rettungswache 1 in der Stolberger Str. 155 angegliedert an die Leitstelle der StädteRegion Aachen.
Primäraufgaben des telenotärztlichen Personals je nach Einsatzszenario
Notfalleinsatz Rettungswagen (RTW) ohne Notarzt/Notärztin (NA)
- Das RTW-Team kontaktiert im Bedarfsfall nach erfolgter Anamnese und Erstversorgung den Telenotarzt oder die Telenotärztin zur Beratung und/oder Freigabe einer definierten Standardtherapie gemäß Verfahrensanweisung (VA), die eine entsprechende Medikamentenapplikation umfasst. Kommen RTW-Team und Telenotarzt/Telenotärztin gemeinsam zu der Entscheidung, dass ein NA vor Ort benötigt wird, so wird dieser umgehend nachgefordert.
Notfalleinsatz RTW mit NA (Überbrückung bis NA vor Ort)
- Das RTW-Team kontaktiert nach erfolgter Anamnese und Erstversorgung den Telenotarzt, da sich das Eintreffen des Notarztes oder der Notärztin vor Ort verzögert (z. B. durch unterschiedliche Anfahrtswege oder temporäre Nichtverfügbarkeit).
- Der Telenotarzt/Die Telenotärztin kann bis zum Eintreffen des notärztlichen Personal vor Ort zur Beratung und/oder Freigabe einer definierten Standardtherapie nach Verfahrensanweisung, die eine entsprechenden Medikamentenapplikation umfasst, überbrückend Hilfe leisten und somit eine frühzeitige Versorgung auch in lebensbedrohlichen Einsätzen gewährleisten.
Notfalleinsatz RTW mit Notarzt (Beratung und Unterstützung des Notarztes)
- Das notärztliche Personal vor Ort kontaktiert nach erfolgter Anamnese und Erstversorgung konsiliarisch den Telenotarzt/die Telenotärztin. In diesem Falle kann der Telenotarzt/die Telenotärztin das notärztliche Personal vor Ort bezüglich verschiedener Fragestellungen unterstützen und beraten (z. B. Kontaktaufnahme zum Giftnotruf, komplexe EKG-Diagnostik, Therapieentscheidungen, Differentialdiagnosen, Entscheidung zur Wahl des Zielkrankenhauses/Fachabteilung, Kontakt und Ankündigung zum richtigen Aufnahmekrankenhaus, Aktivierung des ECMO-Teams der Uniklinik).
Sekundäraufgaben des Telenotarztes
Beratung der Leitstelle
- Beratung und Unterstützung der Leitstellendisponenten und -disponentinnen in medizinischen Fragen des Regelrettungsdienstes im Tagesgeschäft.
Medizinische Koordination Sekundärtransporte
- Der Telenotarzt oder die Telenotärztin übernimmt die medizinische Koordination der Sekundärtransporte. Alle angemeldeten Sekundärtransporte, die eine Anfrage an begleitendes notärztliches Personal enthalten, werden durch den Telenotarzt/die Telenotärztin gesichtet. Es erfolgt ein Gespräch zwischen zwei Ärzten und/oder Ärztinnen zur standardisierten Erfassung des Patienten- oder Patientinnenzustands und der Transportanforderungen zwischen Telenotarzt und der behandelnden ärztlichen Person der abgebenden Klinik.
- Der Telenotarzt/Die Telenotärztin entscheidet, welches Transportmittel für den Sekundärtransport notwendig ist. Neben reinen RTW-Verlegungen und notarztbegleiteten Intensivverlegungen können Patienten und Patientinnen, welche die Kriterien für eine telemedizinische Begleitung (TNA-Kriterienkatalog Sekundärtransport) erfüllen, mit RTW unter zusätzlichem Monitoring durch den Telenotarzt/die Telenotärztin transportiert werden. Auch eine während des Transports notwendige Schmerztherapie oder anderweitige Medikamentengabe ist möglich.
Mit der im Rettungsdienstbedarfsplan für die Stadt Aachen festgelegten Integration des Telenotarztes wurde im Folgenden als Betreiber die Umlaut telehealthcare GmbH (ehemals P3 Telehealthcare GmbH) mit der Durchführung beauftragt.
Die eingesetzten Telenotärzte und -ärztinnen stammen zu einem Großteil aus der Uniklinik RWTH Aachen, und erfüllen alle den unten aufgeführten, lokal festgelegten Standard. Bewusst wird auch Ärzten und Ärztinnen anderer Krankenhäuser der Region die Teilnahme am Telenotarztdienst ermöglicht.
Qualifikationsprofil Telenotarzt
Um dem besonderen Qualitätsanspruch an den telemedizinisch unterstützten Notfalleinsatz gerecht zu werden, werden als Telenotarzt und -ärztin nur besonders erfahrene Notfallmediziner eingesetzt, die folgenden Anforderungen entsprechen:
- Facharzt/Fachärztin der Anästhesiologie oder Facharztstandard (mind. 5. Weiterbildungsjahr)
- Umfangreiche Erfahrung im Notarztdienst (über 500 Einsätze)
- Zusatzbezeichnung "Notfallmedizin" einer Ärztekammer
- Nachweis eines zertifizierten Versorgungstandards in der Reanimationsversorgung (Advanced Life Support (ALS)-Provider Kurs z.B. des ERC)
- Nachweis eines zertifizierten Versorgungstandards in der Traumaversorgung (z.B. Pre-Hospital Trauma Life Support (PHTLS)-Provider Kurs)
- Die Qualifikation zum Leitenden Notarzt oder zur Leitenden Notärztin ist wünschenswert.
Strukturiertes Einarbeitungskonzept & TNA-Handbuch
Alle Telenotärzte und -ärztinnen werden anhand eines strukturierten Einarbeitungskonzeptes inkl. eines speziell zusammengestellten Telenotarzt-Handbuches gezielt auf ihre Tätigkeit vorbereitet und in die technischen, organisatorischen und medizinischen Details eingewiesen. Dabei liegt ein Fokus auf der strukturierten Nutzung evidenzbasierter Verfahrensanweisungen, die dem telenotärztlichen Personal kontextsensitiv über eine Software zur Verfügung gestellt werden.
Supervision
Regelmäßige, direkte Supervision und Einsatznachbesprechungen stellen neben den regelmäßigen Fortbildungen eine entscheidende Säule im Qualitätsmanagement des Telenotarztdienstes dar. Neben fachlichen Aspekten ist auch die Kommunikation zwischen Rettungswagen-Team und telenotärztlichem Personal im Fokus.
Regelmäßige Fortbildungen
Die Telenotärzte und -ärztinnen werden regelmäßig im Kontext regulärer Fortbildungen für Therapien gemäß aktuellster Leitlinien und Empfehlungen trainiert.
Ärztliche Leitung Telenotarzt-Dienst
Die organisatorische Dienstaufsicht über die sog. Telenotarzt-Gruppe obliegt der Stadt Aachen in der Aufgabenwahrnehmung als Aufgabenträger des Rettungsdienstes und wird durch die Abteilungsleitung Rettungsdienst in Abstimmung mit der Ärztlichen Leitung Rettungsdienst umgesetzt.
Als Ärztlicher Leiter des Telenotarztdienstes koordiniert Priv.-Doz. Dr. Marc Felzen die Gruppe der Telenotärzte und -ärztinnen und verantwortet alle organisatorischen Angelegenheiten. Gemeinsam mit Prof. Dr. med. Stefan Beckers erfolgt die fachliche und medizinische Dienstaufsicht durch die Ärztliche Leitung Rettungsdienst. Diese legt entsprechende Beratungs- und Behandlungsstandards fest und überprüft deren Einhaltung.
Kontextsensitiv in die Software integrierte Verfahrensanweisungen
Alle Verfahrensanweisungen (VA) der beteiligten Regionen (Stadt Aachen, Kreis Euskirchen, Kreis Heinsberg, Main-Kinzig-Kreis, Korbach) können in der Bedienoberfläche der Telenotarztzentale aufgerufen werden. Neben der Darstellung eines speziell auf die Rahmenbedingungen der Telekonsultation angepassten Ablaufschemas werden dem telenotärztlichem Personal Zusatzinformationen bereitgestellt. Zu jeder VA gibt es eine checklistenbasierte Dokumentationsoberfläche, die einerseits den Dokumentationsaufwand verringert, vor allem aber optisch darstellt, ob alle Punkte für eine leitliniengerechte Notfallversorgung bereits erfüllt sind. Somit ist eine leitliniengerechte Therapie auch in komplexeren Einsatzsituationen möglich. Die Inhalte der VA sind streng evidenzbasiert und stellen den aktuellen Wissensstand von Leitlinien und Forschung dar.
Qualitäts-Zirkel Rettungsdienst / Krankenhaus
Auch die Leistungen des Telenotarztdienstes werden in den QM-Zirkeln mit den Krankenhäusern und den Rettungsdienstorganisationen besprochen und evaluiert. Eventueller Verbesserungsbedarf kann so identifiziert und umgesetzt werden.