Störungen des Gleichgewichtssinns
Das Gleichgewichtsorgan wird oft nicht als Sinnesorgan wahrgenommen, obwohl wir seine Funktion im Alltag als selbstverständlich bei allen körperlichen Aktivitäten und sogar in Ruhelage in Anspruch nehmen. Dabei ist nicht nur das Gleichgewichtsorgan im Innenohr allein maßgebend, sondern das reibungslose Zusammenspiel zwischen der Orientierung im Raum durch das Sehen und die Lagewahrnehmung über die Gelenke und das Rückenmark.
Alle Sinneseindrücke werden im Gehirn zu einer korrekten Gleichgewichtsinformation zusammengeführt. Stimmen die Informationen aus den Teilbereichen nicht überein (zum Beispiel bei der Seekrankheit) kommt es zu verschiedenen Schwindelsymptomen, unter Umständen mit Übelkeit und Erbrechen. Akute und chronische Krankheitsbilder können dabei eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Beschwerdebilder hervorrufen.
Die genaue Diagnostik von Schwindelbeschwerden ist eine anspruchsvolle Aufgabe, für die wir in unserer Poliklinik schwerpunktmäßig gerüstet sind. Die umfangreich verfügbare Diagnostik wird ergänzt durch die Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen, insbesondere der Augenklinik und der Neurologischen Klinik, aber auch weiterer Fachkliniken im Haus.
Am Ende der Diagnostik steht ein individuelles Therapiekonzept. Zu diesem gehören je nach Ursache der Beschwerden gezielte physiotherapeutische Maßnahmen, Übungsbehandlungen, Medikamente oder operative Verfahren.
Die wichtigsten Krankheitsbilder
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand wird der gutartige Lagerungsschwindel durch feine Kristalle hervorgerufen, die an den Sinneshärchen der Gleichgewichtsorgane normalerweise fest verankert sind. Im Krankheitsfall lösen sich die Kristalle von den Sinneshärchen und flottieren bei Körperdrehungen - zum Beispiel beim Herumdrehen im Bett - frei in den Bogengängen des Gleichgewichtsorgans umher. Die daraus entstehende Flüssigkeitsbewegung in den Bogengängen verursacht heftigen Drehschwindel für ca. eine halbe bis eine Minute.
Die Behandlung erfolgt weltweit bewährt durch bestimmte Lagerungsmanöver, die die Kristalle an eine „ungefährliche“ Stelle im Gleichgewichtsorgan befördern. Entscheidend ist, welcher der Bogengänge betroffen ist und wie präzise die Lagerungsmanöver durchführbar sind. Im Erfolgsfall sind dann keine weiteren Übungsbehandlungen zu Hause mehr notwendig. In unserer Klinik verfügen wir über einen hierzu speziell entwickelten Lagerungsstuhl, der in allen Raumachsen drehbar ist.
Die Erkrankung, früher auch als Neuronitis vestibularis oder Neuritis vestibularis bezeichnet, macht sich als plötzlich auftretender, massiver Drehschwindel bemerkbar, der sich erst langsam über Tage bessert. Wegen der massiven Schwindelbeschwerden besteht akute Sturzgefahr, weswegen die Patienten oft stationär aufgenommen werden. Es kommt bei der Erkrankung zu einer plötzlichen Unterfunktion oder zum kompletten Ausfall eines Gleichgewichtsorgans – vergleichbar dem Hörsturz im Innenohr. Die Ursache ist nicht genau bekannt.
Ziel der Behandlung ist erstens die Funktion des Gleichgewichtsorgans mit Infusionen möglichst wiederherzustellen, zweitens aber die Patienten kontrolliert aus dem Bett zu mobilisieren, da das Gehirn in der Lage ist, einen einseitigen Ausfall mit der Zeit über die funktionierende Gegenseite auszugleichen. Das geschieht je nach Lebensalter unterschiedlich schnell, kann aber mit gezielter Bewegung und Übungsbehandlungen gefördert und beschleunigt werden.
Die nach dem französischen Arzt Prosper Menière benannte Erkrankung macht sich durch plötzlichen, anfallsweisen Drehschwindel mit Hörverlust und Ohrgeräusch unterschiedlicher Dauer bemerkbar. Die Anfälle können in unterschiedlichen Zeiträumen und mit verschiedener Häufigkeit auftreten. Manche der betroffenen Personen können spüren, wenn sich ein neuer Anfall anbahnt.
Ursache ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand ein Überdruck im einen der beiden Flüssigkeitsräume des Gleichgewichtsorgans, dem Endolymphraum. In der Diagnostik stellen wir die Auswirkungen auf die Hör- und Gleichgewichtsorganfunktion fest und können an einigen der Untersuchungen auch Hinweise auf das Vorliegen der Erkrankung außerhalb der Anfälle ablesen. In letzter Zeit wurde eine Technik in der Kernspintomografie entwickelt, die eine direkte Darstellung des erweiterten Endolymphschlauchs im Innenohr ermöglichen soll.
Die Behandlung erfolgt nach einem Stufenschema: Zuerst stehen Medikamente zur Verfügung, die in ca. zwei Dritteln aller Fälle den Betroffenen eine Besserung bringen. Bestehen die Beschwerden fort und ist die Medikamentenbehandlung ausgereizt, kann eine druckentlastende Operation hilfreich sein, die das Gehör in den allermeisten Fällen erhält. In den seltenen Fällen, in denen der Krankheitsverlauf das Gehör bis zum fast völligen Hörverlust geschädigt hat und dennoch Schwindelanfälle fortbestehen, kann eine ausschaltende Operation des Hör- und Gleichgewichtsorgans mit Einsetzen einer elektronischen Hörhilfe (Cochlea-Implantat) sinnvoll sein.
Komplexe Schwindelbeschwerden sind vor allem bei älteren Patienten häufig und stellen eine besondere diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Hier ist nicht nur ein Anteil der Sinneswahrnehmung betroffen. Vielmehr wirken mehrere Teilstörungen, zum Beispiel des Sehens, des Steh- und Gehvermögens und auch deren Zusammenspiel im Gehirn zu Beschwerden völlig unterschiedlicher Ausprägung zusammen.
Neben der detaillierten Diagnostik in unserer Klinik werden hierzu auch je nach Notwendigkeit unsere Nachbarfächer in der Augenklinik, der Neurologischen Klinik und andere Kliniken hinzugezogen. Das Ziel ist, die noch am besten funktionsfähigen Anteile an der Orientierung im Raum - zum Beispiel durch eine neue Brillenversorgung oder durch Krafttraining mit nachgeschaltetem Gleichgewichtstraining - gezielt zu fördern. Das erfordert in der Regel ein individualisiertes Behandlungskonzept.