Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen verhindern
Polypharmazie-Sprechstunde
Mit dem Begriff „Polypharmazie“ bezeichnet man die Einnahme von fünf oder mehr Medikamenten gleichzeitig bei einem Patienten. Einerseits zur wirksamen Therapie von Erkrankungen eingesetzt, kann Polypharmazie jedoch auch zu Risiken für die Gesundheit führen: Mit der Anzahl an Medikamenten steigt das Risiko für falsche Einnahme, aber auch die richtige Einnahme verschiedener Medikamente kann zu Wechselwirkungen führen, die schwerwiegende Nebenwirkungen verursachen können. Um dies zu vermeiden, arbeitet das Institut für Klinische Pharmakologie gemeinsam mit der Klinik für Altersmedizin (Med. Klinik VI) an der Uniklinik RWTH Aachen an einer Sprechstunde zur patientenzentrierten Optimierung der Pharmakotherapie. Dafür wurde eigens eine Hochschulambulanz für Polypharmazie eingerichtet.
Von Polypharmazie betroffen sind überwiegend ältere Menschen über 75 Jahre. Denn sie leiden öfter an behandlungsbedürftigen Erkrankungen und bekommen infolgedessen verschiedene Medikamente verschrieben. „Meist werden die Patientinnen und Patienten von unterschiedlichen Ärztinnen und Ärzten behandelt. Dadurch ist es oft nicht möglich, einen Überblick über die individuelle Arzneimitteltherapie zu behalten“, sagt Univ.-Prof. Dr. med. Cornelius Bollheimer, Direktor der Klinik für Altersmedizin. „Die Einnahme vieler Medikamente kann nicht nur zu leichten unerwünschten Nebenwirkungen führen, sondern auch ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen: Wir beobachten bei rund sieben Prozent der Krankenhausnotfalleinweisungen, dass es sich um Patientinnen und Patienten handelt, die von Polypharmazie betroffen sind und unter unerwünschten Arzneimittelwirkungen leiden“, sagt Univ.-Prof. Dr. med. Julia C. Stingl, Leiterin des Instituts für Klinische Pharmakologie.
Der Weg zu einer individuellen Arzneimitteltherapie
Um dem besser entgegenzuwirken, haben die Klinik für Altersmedizin und das Institut für Klinische Pharmakologie die Hochschulambulanz für Polypharmazie ins Leben gerufen. Im Rahmen der Polypharmazie-Sprechstunde arbeiten Apothekerinnen und Apotheker sowie Ärztinnen und Ärzte interdisziplinär zusammen, um einen pragmatischen Weg einer personalisierten – auf den individuellen Patienten zugeschnittenen – Arzneimitteltherapie zu gehen. Gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten erarbeiten sie eine Anamnese aller eingenommenen Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und sonstiger regelmäßig eingenommener Präparate. Innerhalb der ambulanten Behandlung prüft das Team die Medikation ausführlich und gleicht sie mit der individuellen Situation des Patienten, dem Grund für die Verschreibung und den Diagnosen ab.
Im Anschluss werden Empfehlungen für die Auswahl der individuell wirksamsten Medikamente sowie eine Dosisempfehlung gegeben. Die Ärztinnen und Ärzte aus der Klinischen Pharmakologie und der Altersmedizin erarbeiten gemeinsam Empfehlungen, um unnötige Arzneimittel, oder solche, die hinsichtlich ihrer Sicherheit bei diesem Patienten bedenklich erscheinen, abzusetzen. Zudem geben sie Hilfestellung für die Anwendung von Inhalationsgeräten, Tropfen, Insulin und Schmerzpflastern und empfehlen Hilfsmittel.
Enge Abstimmung mit den Hausärztinnen und Hausärzten
Dafür ist insbesondere eine enge Zusammenarbeit mit den Niedergelassenen notwendig. Denn in den meisten Fällen kommen geriatrische Menschen nicht selbst in die Hochschulambulanz, sondern werden von Hausärztinnen und -ärzten überwiesen. Diese können Patientinnen und Patienten an die Hochschulambulanz verweisen, wenn sie eine pharmakologisch-geriatrische Zweitmeinung bei der Gesamtmedikation wünschen. „Unser wesentliches Ziel ist es, komplexe Therapien zu vereinfachen und individuell anzupassen. Wir treffen keine Entscheidungen für die Hausärzte und die Patientinnen und Patienten. Vielmehr analysieren wir die individuelle Polypharmazie und geben Empfehlungen an den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin weiter“, erklärt Prof. Bollheimer.
Mehr Verständnis für die Risiken entwickeln
Seit Kurzem wird das Angebot der Hochschulambulanz durch ein Patiententagebuch ergänzt. Patientinnen und Patienten dürfen es mit nach Hause nehmen und darin Nebenwirkungen oder Besonderheiten in ihrer Arzneimitteltherapie dokumentieren. Für jedes Arzneimittel können sie einen separaten Eintrag anlegen und dort den betroffenen Bereich des Körpers ankreuzen. Zudem besteht die Möglichkeit, die Schwere der Nebenwirkung in verschiedenen Kategorien anzugeben. Das Patientenbüchlein ist eine sinnvolle Ergänzung für die betroffenen Patientinnen und Patienten, findet Prof. Stingl: „Die Patientinnen und Patienten, die das Angebot unserer Hochschulambulanz wahrnehmen, haben die Möglichkeit, etwaig auftretende Nebenwirkungen oder Besonderheiten im Tagebuch zu dokumentieren und anschließend zur nächsten Sprechstunde mitzubringen. Dadurch werden Patientinnen und Patienten auch zufriedener und motivierter, ihre Arzneimittel so einzunehmen, wie es vorgeschrieben wurde, und entwickeln ein größeres Verständnis für die Gefahren und Risiken. Auf diese Weise können wir Arzneimittelnebenwirkungen verhindern und unnötige Krankenhausaufnahmen vermeiden“.
Zum Nachschauen
Mehr zum Thema Polypharmazie und dem Angebot der Hochschulambulanz für Patientinnen und Patienten, die von Polypharmazie betroffen sind, erfahren Sie im Interview mit Univ.-Prof. Dr. med. Julia C. Stingl, Leiterin des Instituts für Klinische Pharmakologie. Das Video finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Uniklinik RWTH Aachen.
Checkliste Erstvorstellung
- Liste der Präparate, die aktuell verschrieben werden
- selbst erworbene Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel oder sonstige Präparate, die eingenommen werden
- Inhalationsgeräte, Insulin, Schmerzpflaster etc.
- sofern möglich: Verkaufsliste der Stammapotheke der letzten 12 Monate
Kontakt der Hochschulambulanz
Oberarzt-Hotline: 0241 7501-462
Terminvereinbarung: 0241 7501-645