Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen, ist gemeinsam mit Sigrid Falkenstein aus Berlin mit dem „Forschungspreis zur Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“ ausgezeichnet worden. Beide erhielten den Preis, der vom Bundesministerium für Gesundheit, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verliehen wird, für das Buch „Annas Spuren - Ein Opfer der NS-"Euthanasie“. In dem Buch folgt Sigrid Falkenstein den Spuren ihrer Tante Anna, die im Zuge des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms ermordet wurde.
Annas Tod steht für den Massenmord an etwa 300.000 psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen
Per Zufall stößt Falkenstein auf ein Familiengeheimnis: Anna war geistig behindert. 1940 wurde an ihr der „Gnadentod“ in der Gaskammer von Grafeneck vollstreckt. Als Sigrid Falkenstein den Namen ihrer Tante im Internet auf einer „Liste von Personen, die von deutschen Ärzten ermordet wurden“ findet, beginnt sie zu recherchieren: Aus dem Familiengedächtnis, mithilfe alter Fotos und durch das Studium von Patientenakten rekonstruiert sie Annas tragische Lebensgeschichte, um sie gemeinsam mit dem Aachener Psychiater Frank Schneider, der als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde bereits vor Jahren die Aufarbeitung der Geschichte seines eigenen Berufsstandes vorantrieb, in einen größeren Kontext zu stellen. Annas Tod steht für den Massenmord an etwa 300.000 psychisch kranken, geistig und körperlich behinderten Menschen, die im Sinne der nationalsozialistischen Rassen- und Erbhygiene als „lebensunwert“ vernichtet wurden. Über ihre persönliche Spurensuche hinaus thematisiert Sigrid Falkenstein mit Hilfe von Frank Schneider den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Zwangssterilisation und „Euthanasie“ von 1945 bis heute.
In der Laudatio zur Preisverleihung heißt es: „Die schrittweise erfolgende
Ausgrenzung, Pathologisierung sowie die Tabuisierung von Annas Schicksal als
Familiengeheimnis wird eindringlich beschrieben. Das damit verbundene Leiden der Protagonistin lässt den Leser auf eine tiefempfundene Weise Anteil haben an der Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Alltags und der an der 'Euthanasie' beteiligten Ärzte. Diese wissenschaftlich fundierte Arbeit leistet somit einen Beitrag zum Umgang mit Erinnerungskultur in unserer Gesellschaft und auch innerhalb der Familien, weil anhand der Lebensgeschichte eines Opfers Einblick in den Alltag nationalsozialistischer Prägung geboten wird. Die einschlägige Forschungsliteratur wurde nicht nur berücksichtigt, sondern auch reflektiert.“