Auf dem Weg zur digitalen Praxis

Nachgefragt bei Prof. Martin Mücke

Zum 1. Oktober beruft die Uniklinik RWTH Aachen Univ.-Prof. Dr. med. Martin Mücke auf den neuen Lehrstuhl für Digitale Allgemeinmedizin. Seit 2015 war er Lehrbeauftragter der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn sowie in der Lehre für das dortige Institut für Hausarztmedizin tätig. Neben der hausärztlichen Versorgung beschäftigte sich Prof. Mücke in den letzten Jahren schwerpunktmäßig mit der Behandlung von Patienten mit seltenen Erkrankungen sowie mit Patienten ohne Diagnose. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Entwicklung und Erforschung von digitalen Anwendung zur Verkürzung des Diagnoseweges. Von 2018 bis 2021 war er Leiter der Abteilung für Seltene Erkrankungen und Sprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Bonn.

Welche Rolle spielt die Digitale Medizin im Praxisalltag?

Prof. Mücke: Sie wird zunehmend wichtiger, momentan wird diese Entwicklung noch mehrheitlich durch Kliniken, weniger durch Praxen bestimmt, aber sie wird auch hier ankommen. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien bergen ein großes Potenzial, um die medizinische Versorgung zu verbessern – wenn sie denn richtig eingesetzt und angenommen werden! In Deutschland wird dieses Potenzial bisher jedoch kaum genutzt. Unsere europäischen Nachbarn sind da deutlich weiter. Wir brauchen eine bessere Integration moderner Kommunikationsmittel im Praxisalltag. Dabei aber gilt: Die Digitalanwendungen müssen sich an den Bedürfnissen der Patienten und Ärzte orientieren – nicht umgekehrt. Außerdem ist es zentral, dass die Hausärzte endlich die Möglichkeit bekommen, die Chancen telemedizinischer Anwendungen zielgerichtet zu nutzen. Diese werden den Arztbesuch nie ersetzen können, ihn aber ergänzen und somit die Behandlung für den einzelnen Patienten verbessern.

Würden Sie von einem Digitalisierungsschub im Rahmen der Pandemie sprechen?

Prof. Mücke: Definitiv. Videosprechstunden, elektronische Patientenakte, Gesundheits-Apps auf Rezept: Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung hat in den vergangenen Monaten große Fortschritte gemacht – durch die Corona-Pandemie und durch neue politische Initiativen. Ob bei Tinnitus, Migräne oder Schlafproblemen – seit Oktober 2020 können Ärzte gegen diese und andere Beschwerden Gesundheits-Apps für das Smartphone oder Tablet verordnen. Ein Dutzend solcher offi ziell zugelassenen Anwendungen stehen mittlerweile zur Auswahl, und das Angebot wächst stetig weiter. Ich halte es aber für wichtig, diese Entwicklungen parallel zu beforschen und, wenn nötig, nachzusteuern.

Sie sollen in Zukunft auch Verantwortung im Zentrum für Seltene Erkrankungen übernehmen, für Sie kein neues Terrain?

Prof. Mücke: Nein, das ist geübte Praxis. Ich bin Facharzt für Allgemeinmedizin und beschäftige mich seit Jahren schwerpunktmäßig mit Patienten ohne Diagnose mit seltenen Erkrankungen, daher kenne ich die Konstellation sehr gut, dass immer wieder Fälle in der Praxis vorkommen, die nicht nach „Schema F“ diagnostizier- und behandelbar sind. Am Universitätsklinikum Bonn, wo ich die letzten Jahre tätig war, haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Interdisziplinären Kompetenzeinheit für Patienten ohne Diagnose (InterPoD) rund 400 Fälle pro Jahr behandelt. Das ist bisweilen echte medizinische Detektivarbeit. Dabei geht es vor allem darum, aus großen Mengen medizinischer Unterlagen Muster und Zusammenhänge zu erkennen, die Hinweise auf eine Krankheit geben – auch hier wird uns digitale Medizin künftig ganz neue Möglichkeiten eröffnen.
 

Neuer Podcast
Am 10. September startete der neue Podcast „Unglaublich krank – Patienten ohne Diagnose“ mit den Hosts Esther Schweins und Prof. Martin Mücke. Die Folgen fifi nden Sie auch auf der Homepage der Uniklinik RWTH Aachen:

Podcast „Unglaublich krank – Patienten ohne Diagnose“ (ukaachen.de)

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Mücke, © Ralf Bauer Köln

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