Nach Expertenmeinung leiden in Deutschland bis zu 800.000 Menschen an Epilepsien. Diese neurologischen Erkrankungen haben ein äußerst vielfältiges Erscheinungsbild und sind für die Betroffenen oft sehr belastend. Um die flächendeckende medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Epilepsien – vor allem vor dem Hintergrund der heute immer weiter zunehmenden medizinischen Spezialisierung und Komplexität – nicht nur zu gewährleisten, sondern auch kontinuierlich weiterzuentwickeln, hat die Uniklinik RWTH Aachen Anfang Januar 2021 das „Epilepsiezentrum Aachen“ gegründet. Es ist das erste seiner Art in der gesamten Region.
„Epilepsien können in jedem Lebensalter auftreten, unterscheiden sich jedoch erheblich in Bezug auf den Erkrankungsbeginn, ihre Erscheinungsformen, ihre Behandelbarkeit und ihre Auswirkungen auf Alltag und Beruf“, sagt Univ.-Prof. Dr. med. Yvonne Weber, Leiterin des neuen Epilepsiezentrums Aachen an der Uniklinik. „Daher ist eine unmittelbare klinische Verzahnung der Expertise verschiedener Fachbereiche nötig, um Betroffene optimal zu behandeln.“
Verschiedene Akteure
Im Epilepsiezentrum Aachen werden die Kompetenzen vieler Akteure gebündelt. Kern des Teams sind neben der Leiterin Prof. Weber zwei Ober- und zwei Assistenzärzte sowie weitere Spezialisten der Sektion Epileptologie an der Klinik für Neurologie.
Hinzu kommen Experten der Klinik für Neurochirurgie, der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie, sowie weiterer Fachrichtungen und Fachkliniken, Einrichtungen und Zuweiser.
Bei Epilepsien im Kindesalter sollten vor allem die möglichen Folgen für die Entwicklung der Betroffenen in der Behandlung berücksichtigt werden. Epilepsien im erwerbsfähigen Alter haben häufig Auswirkungen auf die soziale und berufliche Situation, für die Lösungen erarbeitet werden müssen. Epilepsien im höheren Lebensalter treten häufig in Folge anderer Erkrankungen (zum Beispiel eines Schlaganfalls) auf und sind in der Regel gut behandelbar. „Als universitärer Maximalversorger kann die Uniklinik mit dem neuen Zentrum in einem interdisziplinären Umfeld mit höchstem universitärem Qualitätsanspruch und Fachkompetenz die bestmögliche Versorgung von Epilepsie-Patienten all dieser Gruppen vorantreiben“, so Prof. Weber weiter.
Bündelung der Kompetenzen
Durch die Bündelung der vorhandenen Kompetenzen können die Experten beispielsweise die integrierte Versorgung von Epilepsie-Patienten sowie von Patienten mit psychogenen nicht-epileptischen Anfällen in allen Altersstufen verbessern, ein epilepsiechirurgisches Programm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene weiterentwickeln oder Behandlungsstrategien interdisziplinär abstimmen. Auch die Abbildung gemeinsamer Standards und Wissensnetzwerke sowie die Erweiterung der Kompetenz auf dem Gebiet der Epileptologie in allen Fachbereichen werde erleichtert, ergänzt die Expertin.
„Wir freuen uns, mit dem Zentrum, ein neues Versorgungslevel für Epilepsie-Patienten in der Region Aachen zu erreichen“, sagt Prof. Dr. Thomas H. Ittel, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Uniklinik RWTH Aachen. „Die überregionale Bedeutung des Epilepsiezentrums Aachen soll in einem nächsten Schritt auch nach außen sichtbar gemacht werden. Daher ist die Zertifizierung nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) ein erklärtes Ziel des Epilepsiezentrums Aachen für die nahe Zukunft.“
Förderung von Forschung und Entwicklung
Neben der reinen Krankenversorgung bietet das Zentrum zudem die Grundlage für eine Förderung medizinischer Innovationen und Weiterentwicklungen in Forschung, Prävention, Diagnostik, Therapie und Medizintechnik. Es orientiert sich dabei an den Interessen und Bedürfnissen der Patienten und Nutzer. Die Diagnostik und multiprofessionelle Behandlung der Epilepsie ist einem schnellen Wandel unterworfen. Durch eine enge Verzahnung aller beteiligten Disziplinen können moderne indikationsgerechte Verfahren überprüft und etabliert werden.
„Die Erforschung der Epilepsie ist ein weites Feld, ich vergleiche sie gern mit Detektivarbeit. Manchmal geht es auch darum herauszufinden, dass jemand nicht an einer Epilepsie leidet. Immerhin werden in Deutschland schätzungsweise 100.000 Patienten mit Medikamenten gegen Epilepsie behandelt, obwohl sie gar nicht an einer Epilepsie leiden. Das möchten wir mit unseren Forschungserkenntnissen ändern“, sagt Prof. Weber.
Auch deshalb gehört die Überprüfung von auswärtigen Behandlungsempfehlungen, sogenannten Zweitmeinungen, zum Portfolio des Zentrums. An den Schnittstellen der Fachdisziplinen ist somit eine besonders enge Koordination notwendig, die durch das Zentrum in besonderer Weise gewährleistet wird.
Besondere Entwicklungsmöglichkeiten
Des Weiteren bietet das Epilepsiezentrum Aachen für verschiedenste Fachkräfte die Zusammenarbeit in einem Team unter Erhalt der jeweiligen Fachkliniken und Fachklinikzugehörigkeit mit hoher Kompetenz, kurzen Kommunikationswegen und vielfältigen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Die gezielte Förderung qualifizierter Mitarbeiter sowohl im ärztlichen als auch im nicht-ärztlichen Bereich sowie die Rekrutierung von besonders talentiertem Nachwuchs ist das erklärte Ziel.