AG Namer

Die Forschungsgruppe „Neurowissenschaften: translationale Schmerzforschung“ unter der Leitung von Prof. Dr. med. Barbara Namer ist eine eigenständige Arbeitsgruppe, die vom interdisziplinären Zentrum für klinische Forschung (IZKF) des Aachener Klinikums gefördert wird. Das Institut für Neurophysiologie ist die gastgebende Institution für diese Forschungsgruppe von 2019 bis 2024.

Unser Ziel ist es, klinisch relevante Forschungsfragen im Bereich Schmerz und Juckreiz zu beantworten.

Wir untersuchen die Funktion und Dysfunktion von Nozizeptoren/Prurizeptoren am Menschen in experimentellen und Modellierungsansätzen im Hinblick auf Schmerz und Juckempfindung.

Mikroneurographie

Die Kernkompetenz dieser Gruppe liegt in funktionellen Ableitungen einzelner Nervenfasern am wachen Menschen (Mikroneurographie). Dazu wird eine Mikroelektrode in einen peripheren sensorischen Nerv eingeführt (siehe Abbildung 1) und Aktionspotentiale von den nahegelegenen unmyelinisierten (C-Fasern) Nervenfasern können aufgezeichnet werden. Parallel zu den Aufzeichnungen kann die individuelle Wahrnehmung des Probanden abgefragt und mit den neuronalen Entladungen korreliert werden.

Diese technisch anspruchsvolle Methode wird in wenigen Labors weltweit zur Erforschung von Schmerz und Juckreiz eingesetzt. Es ist die einzige Technik, die einzigartige Erkenntnisse über Funktion und Dysfunktion einzelner Nervenfasern beim Menschen, einschließlich Schmerz- und Juckreizpatienten, in Echtzeit und in Korrelation mit der individuellen Wahrnehmung liefern kann.

Mikroneurographie: Die Mikroelektrode zur Aufzeichnung der Nervensignale (Nadel mit weißer Fahne) wird in einen peripheren Nerv eingeführt. In diesem Beispiel wird der oberflächliche Peroneusnerv verwendet, der durch eine blaue Linie am Knöchel markiert ist. Die Enden der Nervenfasern in der Haut werden mit zwei Stimulationselektroden elektrisch aktiviert (roter Pfeil" elektrische Stimulation"). Das Signal wird hoch verstärkt (silberner Kasten). Einzelne Aktionspotentiale von dünnen Nervenfasern (C-Fasern), die entlang der einzelnen Nervenfasern an der Ableitungsstelle vorbei laufen, werden aufgezeichnet. Jede Faser hat ihre eigene Antwortlatenz (rote Ovale), d. h. die Zeit, die die Aktionspotentiale von der Stimulationsstelle in der Haut bis zur Aufzeichnungsstelle benötigen ist für jede individuelle Nervenfaser immer gleich. Wenn zusätzliche Aktionspotenziale durchexterne  Reize wie Wärme oder mechanische Reize (zwei kleine Fotos links) oder durch Spontanaktivität ausgelöst werden, erhöht sich die Antwortlatenz (roter Pfeil) aufgrund der aktivitätsabhängigen Aktionspotenzialverlangsamung (ADS). Das Ausmaß der Verlangsamung (ADS) korreliert mit der Anzahl der Aktionspotenziale, die sich zuvor entlang des Axons bewegt haben. Somit kann man die Aktivität einzelner Nervenfasern quantifizieren und weiter analysieren.

Ergänzend zur Mikroneurographie arbeiten wir mit verschiedenen detaillierten psychophysischen Untersuchungstechniken, Laser-Doppler- und Specle-Bildgebung und computergestützter Modellierung der axonalen Leitung.  Zur Beurteilung der prinzipiellen Eigenschaften sensorischer C-Fasern arbeiten wir mit in vitro-Ansätzen in menschlichem und tierischem Gewebe mit Ableitungen von Summenaktionspotentialen, und Veränderungen des mittleren Membranpotentials mittels der „grease-gap“ Technik sowie Ableitungen einzelner Nervenfasern in Hautnervenpräparaten.

Unsere Forschungsschwerpunkte sind:

Sehr dünne und langsam leitende Nervenfasern, so genannte C-Fasern, innervieren die Haut, tiefe Strukturen wie Muskeln sowie innere Organe und leiten Signale von dort zum Rückenmark. Dort werden die Signale verarbeitet und an das Gehirn weitergeleitet. Diese dünnen Nervenfasern werden Nozizeptoren genannt. Nozizeptoren werden durch Reize aktiviert, die den Körper schädigen könnten und die als Schmerz oder Juckreiz empfunden werden können. Wir erforschen, welche spezifischen Nervenfasern zur Schmerz- oder Juckempfindung beitragen und welche Signalstärken und Muster zu welcher Empfindung führen. Wir benutzen die Technik der Mikroneurographie, um direkt beim wachen Menschen Signale von einzelnen peripheren Nervenfasern aufzunehmen und diese Signale zur individuellen Wahrnehmung von Reizen, die diese Nervenfasern aktivieren, zu korrelieren. 

Beim Menschen spielen zwei verschiedene C-Faserklassen völlig unterschiedliche Rollen bei der Schmerz- und Juckempfindung: Die mechano-sensitiven Nervenfasern signalisieren räumliche und zeitliche Aspekte von akutem Schmerz/Juckreiz und stellen die Warnung vor schädlichen Reizen dar, die von außen auf den Körper einwirken. Sie werden nach der Warnung wieder abgeschaltet.

Mechano-insensitive Nervenfasern scheinen ein langfristiges Warnsystem darzustellen, das noch aktiver wird, sobald chemische Substanzen im Spiel sind, die bereits in den Körper gelangt sind oder vom Körper selbst produziert werden.

Beide Nervenfasergruppen reagieren unterschiedlich auf Schädigung. Wir erforschen die Eigenschaften dieser Nervenfasern, um Erkenntnisse zu gewinnen, die für das Verständnis von chronischem Juckreiz und Schmerzen, sowie deren Diagnose und Behandlung wichtig sind.

Neuropathische Schmerzen sind Schmerzen, die durch eine Schädigung des sensorischen Nervensystems verursacht werden, wie zum Beispiel bei diabetischer Polyneuropathie oder der sogenannten „Dünne-Faser-Neuropathie“. Die „Dünne Faser-Neuropathie“ (small fiber neuropathie, SFN) ist eine Erkrankung, die durch die Degeneration und Dysfunktion peripherer dünner, unmyelinisierter Nervenfasern, so genannter Aδ- bzw. C-Fasern, gekennzeichnet ist.

Neuropathische Schmerzen betreffen weltweit Millionen von Menschen und sind mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität verbunden, da bisher keine adäquate Therapie gefunden wurde.

Wir untersuchen Patientinnen und Patienten mit neuropathischen Schmerzen durch SFN, Diabetes oder genetische Veränderungen, um herauszufinden, wie diese dünnen peripheren Nervenfasern zu den Symptomen von Über- und Unterfunktion beitragen (im Sinne von reduzierter Empfindung und Dauerschmerz). Mit der Technik der Mikroneurographie ist es uns möglich, Funktionsstörungen dünner Fasern auf der Ebene einzelner Aktionspotentiale in einzelnen Nervenfasern nachzuweisen. Wir untersuchen die Eigenschaften der hyperaktiven Nervenfasern bei Patientinnen und Patienten mit neuropathischen Schmerzen, um mögliche Angriffspunkte für die Behandlung anhaltender spontaner neuropathischer Schmerzen zu identifizieren.

Wohl jeder Mensch weiß, wie quälend und unangenehm akuter Juckreiz sein kann. Wenn die Juckempfindung chronisch wird, ist die Lebensqualität der Betroffenen deutlich beeinträchtigt. Zudem ist Jucken als Erkrankung, z. B. im Vergleich zum Schmerz, sozial wenig akzeptiert, weil Jucken und Kratzen oft mit Ungepflegtheit oder Parasitenbefall assoziiert wird. In Deutschland sind etwa 13 Prozent der Erwachsenen von chronischem Jucken betroffen, und bis heute fehlen wirksame Therapien. 

Wir untersuchen bei Patientinnen und Patienten mit chronischem Juckreiz periphere sensorische Nervenfasern, deren Dysfunktion zum chronischen Juckreiz beiträgt. Diese Daten ermöglichen es, übergreifende ursachenspezifische Mechanismen des chronischen Juckens zu erkennen und durch das Verständnis zu neuen Therapien zu gelangen.