Das Auftreten eines akuten Lungenversagens (Acute respiratory distress syndrome = ARDS) wird auf den deutschen Intensivstationen selten und mitunter zu spät diagnostiziert. Die im Rahmen des Use Case ASIC (ASIC = Algorithmic Surveillance of ICU patients) im SMITH-Konsortium der Medizininformatik-Initiative entwickelte ASIC-App wirkt dem entgegen, indem sie relevante Patientendaten von Intensivpatienten kontinuierlich elektronisch überwacht. Die ASIC-App ist – unter Federführung der Uniklinik RWTH Aachen – mittlerweile an den beteiligten universitätsmedizinischen Standorten Bonn, Düsseldorf, Halle, Hamburg, Jena, Leipzig und Rostock im klinischen Einsatz. Aufgrund der Corona-Pandemie ist sie relevanter denn je.
In der Hektik des Klinikalltags können die frühen Stadien des ARDS angesichts der Menge der anfallenden Datenwerte leicht übersehen werden. Oftmals fällt die Erkrankung erst dann auf, wenn sich die Lungenfunktion und das klinische Bild des Patienten gravierend verschlechtert haben. Die Folgen sind verheerend: Rund 40 Prozent aller Erkrankten versterben an diesem Krankheitsbild. Die gegenwärtige Corona-Pandemie hat die Lage nochmals verschärft: 75 Prozent aller COVID-19-Patienten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, erkranken an einem ARDS, knapp die Hälfte überlebt die Erkrankung nicht.
App dient als Frühwarnsystem
Hier setzt die App an: Noch bevor sich der Zustand des Patienten weiter verschlechtern kann, gibt die App einen Hinweis auf das potentielle Vorliegen eines ARDS und zeigt in einer kompakten Übersicht alle relevanten Patientendaten, zum Beispiel den sogenannten Horovitz-Quotienten. Hierbei handelt es sich um eine Maßzahl zur Fähigkeit der Lunge, Sauerstoff ins Blut des Patienten zu transportieren. Basierend auf Kriterien der S3-Leitlinie „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ermöglicht die ASIC-App einen patientenbezogenen ARDS-Feststellungsprozess und gibt zusätzlich leitlinienkonforme Behandlungsempfehlungen, sodass sofort evidenzbasierte therapeutische Maßnahmen ergriffen werden können. Univ.-Prof. Dr. med. Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care an der Uniklinik RWTH Aachen und Projektleiter im Use Case ASIC, erklärt: „Die ASIC-App reduziert die unüberschaubare Datenmenge auf das Wesentliche, weist die Ärzte unmittelbar auf potentielle ARDS-Patienten hin und ist dem Virus damit einen Schritt voraus. Dadurch lässt sich bei der Behandlung dieser Patienten wertvolle Zeit gewinnen, wodurch mehr Leben gerettet werden können.“ Fünf Intensivstationen seiner Klinik nutzen die ASIC-App bereits seit über einem Jahr.
Start der Qualitätssicherungsphase an weiteren Standorten
Die CE-zertifizierte mobile Anwendung läuft auf iOS und Android-basierten Endgeräten und ist im intensivmedizinischen Klinikalltag, nachdem die interoperablen Schnittstellen an bereits existierende klinische und administrative Systeme im Bereich der Benutzerverwaltung angebunden wurden, einsatzfähig. Die Intensivstationen der Universitätskliniken Jena, Leipzig, Halle, Düsseldorf, Hamburg und zuletzt Bonn sind nun ebenfalls in die Qualitätssicherungsphase gestartet und haben mit der Nutzung der ASIC-App begonnen. Im Use Case ASIC wurden zwischen Juli 2019 und November 2021 über 13.000 Patienten in die Qualitätssicherungsmaßnahme eingeschlossen.