Prof. Dr. med. Gerrit Alexander Schubert im Interview
Herr Prof. Schubert, wo arbeiten Sie aktuell und was sind Ihre Aufgaben?
Prof. Schubert: Ich arbeite derzeit als Chefarzt in der Klinik für Neurochirurgie am Kantonsspital Aarau (KSA) in der Schweiz. Das KSA ist eines der grössten Spitäler der Schweiz, und wir dürfen das gesamte Spektrum der Neurochirurgie abdecken. In der Neurochirurgie behandeln wir Hirntumore und Gefässmissbildungen des Kopfes und des Rückens, Hirnblutungen genauso wie komplexe Wirbelsäulenerkrankungen, Schädel- und Rückenverletzungen oder chronische Schmerzsyndrome.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Prof. Schubert: Nach einer kurzen Stippvisite in den Umweltwissenschaften habe ich in mein Medizinstudium in Mannheim, England und den USA absolviert. Die Doktorarbeit unter meinem großen Vorbild Prof. Schmiedek hat mich motiviert, eine Ausbildung in der Neurochirurgie zu beginnen. Auf die Facharztausbildung bei Prof. Schmiedek in Mannheim folgte dann 2009 ein Fellowship in Seattle, bevor ich 2010 für zwei Jahre als Oberarzt am Universitätsklinikum in Innsbruck gearbeitet habe. Dort durfte ich 2011 habilitieren. 2012 habe ich die Gelegenheit bekommen, das Team von Prof. Clusmann an der hiesigen Neurochirurgie zu verstärken. 2015 wurde ich zum Leitenden Oberarzt ernannt und erhielt 2017 meine Apl.-Professur. Seit 2021 arbeite ich in der Schweiz.
Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie an Aachen denken? / Wenn Sie an Ihre Zeit an der Uniklinik RWTH Aachen zurückdenken, was ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Prof. Schubert: Der Aachener Dom. Oh, war das falsch? Nein! Natürlich der wunderschöne grüne Teppich. Mein Wechsel nach Aachen war eine Rückkehr nach Hause. Ich bin mit Leib und Seele Rheinländer, bin dort aufgewachsen, war aber dann für meine Ausbildung lange Zeit nicht mehr dort. Erst als junger Oberarzt konnte ich in die Heimat zurückkehren. Hier lebt der Rest meiner Familie, und ich habe mich direkt wieder wohl und heimisch gefühlt. Ich mag die Mentalität, die Mundart und die Menschen im Rheinland.
Was war das schönste Erlebnis an der Uniklinik RWTH Aachen, an das Sie sich erinnern?
Prof. Schubert: Nach einem sehr langen Tag mit vielen kleinen und großen Problemen bin ich Gedanken versunken zu meinem Fahrradständer vor dem Haupteingang gelaufen. Ein Mann spricht mich an; auf den zweiten Blick sehe ich, dass es ein ehemaliger Patient ist, den wir an einer Gefässfehlbildung am Gehirn operiert haben. Er will jemanden in der Klinik besuchen, ihm selbst geht es gut. Wir reden noch einmal darüber, dass ihm die Entscheidung zur Behandlung damals sehr schwer gefallen ist. Diese Fehlbildung können zu schweren Hirnblutungen führen, aber die Behandlung ist nie ohne Risiko. Und wie er die Zeit nach der Operation erlebt hat. Nach Jahren der Unsicherheit Erleichterung verspürt hat. Tränen steigen in seine Augen, als er sich erinnert. Er nimmt meine Hand sagt: „Gott schütze Sie und Ihr Team.“ Ich bin selber gläubig. Aber abgesehen davon ist das ein Moment gewesen, der mir die Sinnhaftigkeit für den Beruf zurückgegeben hat. Unter den heutigen Bedingungen geht das immer wieder verloren.
Was haben Sie aus Aachen mitgenommen?
Prof. Schubert: Tatsächlich mitgenommen, also ganz real, habe ich ein Stück grünen Teppich. Den hat mir mein Chef zum Abschied gerahmt und mit auf den Weg gegebenen! Eher übergreifend ... Die Uniklinik und besonders Prof. Clusmann haben mich gelehrt, auf eigenen “chirurgischen” Beinen zu stehen. Dadurch, dass Verantwortung und Vertrauen geschenkt wurden, konnte ich mich als Arzt und Chirurg bis hin zu einer Leitungsfunktion weiterentwickeln. Ich hatte hervorragende Möglichkeiten, einen kleinen Forschungsbereich in der Neuro-Intensivmedizin aufzubauen … mit einem wunderbaren, interdisziplinären Team. All das wäre an vielen andere Orten und ohne das Vertrauen und die Unterstützung durch den Chef nicht möglich gewesen.
Welche Rolle hat die Zeit an der Uniklinik Aachen für Ihren beruflichen Weg gespielt?
Prof. Schubert: Die Uniklinik hat meiner medizinischen und akademischen Ausbildung und Karriere beachtlichen Schub verliehen. Das klinische Spektrum ist extrem breit, man erhält Erfahrungen in allen Teilbereichen meines Faches. Wissenschaftlich sind die Rahmenbedingungen hervorragend; es gibt so viele Förderinstrumente und mit den technischen Nachbarfakultäten so viele potentielle, hochkarätige Kooperationspartner. Man merkt an jeder Ecke, dass die RWTH hochprofessionell ist und Innovation fördert.
Bitte beenden Sie folgenden Satz: Aachen ist für mich …
Prof. Schubert: ... Heimat.
Wenn Sie heute nochmal studieren könnten, würden Sie irgendetwas anders machen?
Prof. Schubert: Sie meinen ein anderes Fach? Das ist heute eine provokante Frage ... Aber in Bezug auf das Medizinstudium? Ich hatte das große Glück, viel Zeit im Ausland verbringen zu dürfen. Es bestand auch die Möglichkeit, das ganze Studium in England zu absolvieren ... Das wäre sich auch eine sehr spannende Alternative gewesen .
Rückblickend auf Ihre Studienzeit: Was würden Sie Studierenden mit auf den Weg geben?
Prof. Schubert: Neugierde hilft. Offenheit hilft. Komfortzonen verlassen und in möglichst viele Bereich hineinschauen, um zu lernen, was einem gefällt, was fasziniert und was einen motiviert. Und auf den eigenen Bauch hören. Ein gutes Team und die richtige Philosophie, bei der man sich wohl fühlt, sind meiner Meinung nach mindestens genauso wichtig wie ein großer Name oder ein großes Institut. Ich bin nur durch Zufall zu einer neurochirurgischen Doktorarbeit gekommen. In Mannheim habe ich meine Ausbildung vor allem begonnen, weil ich mich dort sehr wohl gefühlt habe. Die Entscheidung habe ich nicht bereut.
Und vielleicht, das hat vielleicht nur bedingt mit dem Studium zu tun ... vielleicht muss man sich früher und bewusst mit den eigenen Prioritäten auseinandersetzen. Was will ich, was bin ich bereit, dafür zu tun. Es kostet Energie und Zeit, „erfolgreich“ zu sein. Manche Berufe sind einfach zeitintensiver als andere. Aber wie wichtig ist das im Großen und Ganzen, wo steht Familie oder man selbst? Wie wichtig wird es sein, wenn man eine, für einen selber gesunde Work-Life-Balance sucht? Bewusst habe ich persönlich mich viel zu spät damit auseinandergesetzt.
Was tun Sie, um einen Ausgleich zu Ihrer Arbeit zu schaffen?
Prof. Schubert: Die Schwierigkeiten haben sich verlagert. Die Herausforderungen sind mehr betriebswirtschaftlicher Natur, Mitarbeiterführung oder politisch-strategische Entwicklung, und die können in der Tat längere Zeit nachhallen. Je höher man in der Verantwortungskette steigt, desto schwerer scheint mir das Abschalten zu fallen. Deshalb finde ich Ihre Frage wichtig. Bei mir ist es die Familie, meine Frau und meine beiden Kinder, die mich erden und auf den Boden holen, gesunde Perspektive und wichtigen Abstand geben. Und wenn ich dann noch Zeit habe, muss ich raus in den Garten, in meine Holzwerkstatt oder auf die Meditationsbank. Wenn für alles etwas Zeit bleibt, bin ich ausgeglichener.