Forscher der Uniklinik RWTH Aachen entdecken neues Gen für angeborene Stoffwechselerkrankung

Unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Ingo Kurth und Dr. rer. nat. Florian Kraft sowie weiteren Beteiligten des Instituts für Humangenetik an der Uniklinik RWTH Aachen ist es gelungen, die genetische Ursache für eine bisher unbeschriebene angeborene Stoffwechselerkrankung zu identifizieren. An dem Forschungserfolg sind seitens der Uniklinik ebenfalls die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, das Institut für Pathologie und das Institut für Neuropathologie sowie weitere nationale und internationale Kooperationspartner beteiligt. Bei den betroffenen Kindern konnten krankheitsverursachende Varianten im bislang hinsichtlich seiner Funktion völlig unbekannten Gen C2orf69 mittels Hochdurchsatzsequenzierung (NGS) nachgewiesen werden. Anhand von funktionellen Analysen zeigte die Erstautorin der Studie, Eva Lausberg, dass die genetischen Veränderungen unter anderem den Stoffwechsel der Mitochondrien, die sogenannten „Kraftwerke der Zelle“, beeinträchtigen.

Obwohl das menschliche Genom mittlerweile seit 2003 entschlüsselt ist, gibt es noch immer viele Gene, deren Aufgaben gänzlich unbekannt sind. Eine Möglichkeit, die Wichtigkeit dieser Gene nachzuweisen, ist die Untersuchung von Familien mit seltenen Erbkrankheiten, wie die Studie „C2orf69 mutations disrupt mitochondrial function and cause a multisystem human disorder with recurring autoinflammation“ belegt.

Im Rahmen sogenannter Trio-Exom-Sequenzierungen, bei der die DNA-Sequenz aller 23.000 Gene eines Patienten mit den elterlichen Proben verglichen wird, konnte die Arbeitsgruppe ursächliche genetische Veränderungen im bislang nicht charakterisierten Gen C2orf69 feststellen. Durch wissenschaftliche Kooperation gelang es, weitere sieben Patienten mit gleichen oder ähnlichen Veränderungen in diesem Gen zu identifizieren und damit die Ursache für die bei allen acht Kindern vorliegende komplexe Multisystemerkrankung aufzuklären. Die betroffenen Kinder zeigen neben einer allgemeinen Entwicklungsstörung häufig schwere Hirnfehlbildungen, Epilepsien, Funktionsstörungen der Leber und eine immunologische Störung, die zu wiederkehrenden Infektionen vor allem im Bereich der Gelenke und inneren Organe führt. Insgesamt handelt es sich um schwere Krankheitsverläufe, die mit einer hohen Letalität einhergehen.

Das betroffene Genprodukt ist in den Mitochondrien nachzuweisen und ist dort für die Funktion der Atmungskette verantwortlich. So konnte sowohl in Zellen der betroffenen Kinder als auch in einem Knockout-Zellmodell eine verminderte Aktivität verschiedener mitochondrialer Atmungsketten-Komplexe gezeigt werden. Zusätzlich ist bei dem Krankheitsbild auch der Glykogenstoffwechsel beeinträchtigt. Die Veränderungen im Energiestoffwechsel und eine Dysregulation des Immunsystems konnten mithilfe der RNA-Sequenzierung auch auf genregulatorischer Ebene in Blutzellen der Patienten nachgewiesen werden. Die Ergebnisse der Studie wurden Anfang Mai 2021 in der renommierten Fachzeitschrift Journal of Clinical Investigation (JCI) publiziert.
 

Originalpublikation:

C2orf69 mutations disrupt mitochondrial function and cause a multisystem human disorder with recurring autoinflammation.
Lausberg E, Gießelmann S, Dewulf JP, Wiame E, Holz A, Salvarinova R, Van Karnebeek C, Klemm P, Ohl K, Mull M, Braunschweig T, Weis J, Sommer C, Demuth S, Haase C, Stollbrink-Peschgens C, Debray F-G, Libioulle C, Choukair D, Oommen PT, Borkhardt A, Surowy H, Wieczorek D, Wagner N, Meyer R, Eggermann T, Begemann M, Van Schaftingen E, Häusler M, Tenbrock K, van den Heuvel L, Elbracht M, Kurth I, Kraft F. J Clin Invest. 2021

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Klinische und molekulare Veränderungen in Patienten mit C2orf69-Verlust
C2orf69 kolokalisiert mit dem mitochondrialen Protein TOMM20. (blau: Zellkern, rot: TOMM20, grün: C2orf69)

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